Der schwer kranke Patient

Über die Rettung der Nordsee konferieren seit gestern die Anrainerstaaten im schwedischen Göteborg. Schöne Beschlüsse sind möglicherweise zu erwarten, umgesetzt wurden sie bislang aber stets unzureichend

Sie treffen sich zum sechsten Mal, die VertreterInnen der Anrainerstaaten und der EU-Kommission, und die Schwierigkeiten sind nicht geringer geworden. Überfischung und Überdüngung, giftige und ölige Einleitungen von Fabriken und Schiffen – keines der Probleme, die die Nordsee bedrohen, ist bislang gelöst worden.

Die Internationale Nordseekonferenz (INK) im schwedischen Göteborg berät seit gestern vor allem über zwei Themen. Die bedrohten Fischbestände im atlantischen Randmeer sollen besser geschützt und chemische Emissionen verringert werden. Konkrete Ergebnisse sollen heute Nachmittag bekannt gegeben werden.

Umweltschutzverbände warnen allerdings vor übertriebenem Optimismus. „Um die Zukunft der Nordsee ist es schlecht bestellt“, befindet Stefan Lutter, Meeresexperte des World Wide Fund for Nature (WWF). Zwar räumt er ein, dass die 1984 ins Leben gerufene Nordseekonferenz „wegweisende Beschlüsse gefasst“ habe, nur sei „leider wenig davon umgesetzt worden“.

So hat die INK vor vier Jahren im norwegischen Bergen einen „Rettungsplan“ für Schweinswale beschlossen. Der kleinste aller Wale ist akut vom Aussterben bedroht, weil jährlich bis zu 10.000 der delphinähnlichen kleinen Tümmler in den Schleppnetzen der Fischereiflotten ertrinken. Dieser „Beifang“ müsse kurzfristig „auf ein Viertel reduziert werden“, verlangte die INK.

Passiert ist seitdem nicht viel: Zurzeit wird mit „Pingern“ experimentiert, kleinen Geräten an Fischernetzen, deren elektronische Signale die Schweinswale auf Abstand halten sollen. Ob erste Erfolge zu verzeichnen sind, soll ein für Herbst erwarteter Prüfbericht ergeben.

Keine Entwarnung gibt es auch an der Giftfront. Die Nordsee sei noch immer „die Abfallsenke Nordeuropas“, lautete das Fazit eines Symposiums der „Aktionskonferenz Nordsee“ kürzlich in Bremen. Dieses Netzwerk von Naturschützern stellte fest, dass die Belastungen durch Nährstoffe sich in den vergangenen 20 Jahren „nur minimal reduziert“ hätten. Und aus dem „Giftcocktail von zigtausend Chemikalien“ seien lediglich einige giftige Schwermetalle weitgehend entfernt worden. Insgesamt aber seien „alle Bemühungen katastrophal unzureichend“, so das Fazit von Peter Willers von der Aktionskonferenz.

Noch immer sei die Nordsee, resümierte denn auch WWF-Experte Lutter gestern, „ein schwer kranker Patient“.

Sven-Michael Veit