Die Unersättlichen

User in der Grauzone: Die offiziellen Internet-Musikshops sind teuer, die Nutzung ihrer Produkte meist eingeschränkt. Tauschbörsen sind daher eine immer beliebtere Quelle – den DSL-Flatrates sei Dank

VON DIETER GRÖNLING

Mit der DSL-Flatrate auf die Tauschbörsen – das ist wie im Schlaraffenland, das Paradies, in dem man übers Wochenende in einem riesigen Kaufhaus eingeschlossen wird, am Montag alles mitnehmen kann und nicht bezahlen muss. Schon das Angebot an Tauschbörsen-Netzen ist groß, da muss man sich heute erst einmal zurechtfinden. Es beginnt schon mit dem Vokabular: Tauschbörse, Filesharing, p2p – das ist alles das Gleiche. Auch das Prinzip ist immer gleich: Um teilnehmen und auf die Musik- und Videodateien anderer zugreifen zu können, ist man aufgefordert, selbst Dateien für andere bereitzustellen.

Die erste Tauschbörsen-Generation, zu der auch Napster gehörte, lief noch über zentrale Server. Das war der Schwachpunkt, denn diese sind stets verwundbar. Mit der zweiten Generation wurde die Schwäche beseitigt. Nun konnte direkt zu anderen Peers verbunden und – über alle Peers hinweg – nach Quellen für den Download gesucht werden. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind das Gnutella-Netz mit der passenden Client-Software Morpheus oder LimeWire bzw. FrostWire, das FastTrack-Netz mit Kazaa Lite, das eDonkey-Netz mit den diversen Mule-Varianten und das BitTorrent-Netz mit Shareaza und anderen. Inzwischen gibt es bereits eine dritte Generation, bei der die Daten über Umwege geleitet werden, damit Quelle und Ziel nicht mehr nachvollziehbar sind – und auch schon eine vierte, bei der gebündelte Datenströme (Streams) anstatt Dateien verschickt werden.

Tausch nur mit Lizenz

Nach wie vor besonders von Musikfans stark frequentiert ist das Gnutella-Netz. Die bislang sehr beliebte Software LimeWire geriet wie viele Hersteller von P2P-Programmen in juristische Auseinandersetzungen mit dem Verband der amerikanischen Musikindustrie und muss nun Schutzmechanismen einbauen, die ausschließlich den Tausch „lizenzierter Dateien“ ermöglichen soll. Ein paar LimeWire-Mitarbeiter haben sich deshalb zusammengetan und FrostWire entwickelt – eine einfach zu installierende und leicht zu bedienende Alternative ohne Einschränkungen.

Schon seit Jahren versucht die Unterhaltungsindustrie, den Tausch nicht nur von Musik, sondern auch von Kinofilmen mit allen Mitteln einzudämmen. Da wurden Tauschbörsen und Nutzer verklagt, und um den Leuten den Spaß zu vermiesen, hat man auch schon Musikstücke und Filme im Netz verteilt, die mittendrin abbrachen oder falsch betitelt waren. Auch hierzulande lief eine Kampagne mit seltsamen TV-Spots, bei denen offenbar das Gefühl entsehen sollte, dass der illegale Download schlimmer sei als Raub oder Vergewaltigung. Jedes Jahr entstehen angeblich Schäden in Milliardenhöhe. Die dabei genannten Zahlen müssen jedoch stark angezweifelt werden. Niemand, auch nicht die Industrie, hat auch nur annähernd einen Überblick darüber, was wo und wie oft aus dem Netz geladen wird. Und es ist schwer nachvollziehbar, dass tatsächlicher Schaden entsteht: Jemand, der einen Song aus dem Internet holt, würde meist die Platte ohnehin nicht kaufen. Es gibt einfach keinen realen Umsatzverlust, der sich beziffern ließe.

Mit ihren über Jahrzehnte stark überhöhten Preisen ist die Musikindustrie selbst schuld am Dilemma. Der Markt befindet sich in festen Händen einiger weniger Großkonzerne; die Musiker bekommen stets das kleinste Stück vom Kuchen. Das Internet und mit ihm die Musiktauschbörsen – allen voran das noch von Shawn Fenning entwickelte Ur-Napster – bescherten der Industrie ihre erste Krise. Nach ein paar Kraftakten und unendlich vielen Prozessen scheint sich das heute wieder beruhigt zu haben, denn inzwischen verdient auch die Schallplattenindustrie am Internet.

Längst ist MP3 zum Synonymbegriff für Musik geworden, die aus zumeist dunklen Quellen oder über Tauschbörsen aus dem Netz geladen und bequem auf dem PC oder einem handlichen, batteriebetriebenen Player abgespielt werden kann. Kein Wunder: Das am Fraunhofer-Institut in Erlangen entwickelte Kompressionsformat für Musik ist in der Lage, die auf herkömmlichen Audio-CDs enthaltene Datenmenge auf ein Zehntel ihres Volumens zu verkleinern, ohne dass Unterschiede hörbar werden. Erst bei deutlich stärkerer Komprimierung lassen sich von geübten Ohren und mit hervorragender Musikanlage Qualitätsverluste feststellen. Damit wurde MP3 zum idealen Format für die Übertragung per Telefon- oder ISDN-Leitung.

Das MP3-Format erlaubt keinen Kopierschutz irgendwelcher Art. Deshalb werden von den „legalen“ Musikshops – die sich, um existieren zu können, strikt an die Vorgaben der Musikindustrie halten müssen – keine MP3-Dateien verkauft. Man wollte einfach verhindern, dass einmal erworbene Songs übers Netz verbreitet wurden und erfand das „Digital Rights Management (DRM)“. Realisiert wird das bei Apple iTunes mit dem AAC-Format (Advanced Audio Coding), einer „Weiterentwicklung“ von MP3. In der Microsoft-Welt wird das WMA-Format bevorzugt (Windows Media Audio). Beiden gemeinsam ist die Möglichkeit, auch nach Kauf und Download zu kontrollieren, was mit der Musikdatei passiert. Dazu werden bestimmte Informationen auf der Festplatte des Nutzers festgehalten. So kann ein Musikshop zum Beispiel erlauben, dass eine WMA-Datei beliebig oder eingeschränkt abgespielt, zweimal auf den portablen Player und einmal auf eine Musik-CD gebrannt werden darf. Wird die Datei auf einen anderen Rechner kopiert, lässt sie sich dort nicht wiedergeben. Kontrolliert wird das – wie beim deutschen musicload.de – direkt vom Windows Media Player – oder von einer speziellen Software, die bei Apple iTunes und anderen Musikshop heruntergeladen und installiert werden muss, noch bevor der erste Download erfolgt. Meist werden sogar Daten über das Abspielverhalten und Ähnliches heimlich gesammelt und regelmäßig ohne Wissen des Nutzers an die jeweiligen Heimatrechner übermittelt.

Kritiker interpretieren die Abkürzung DRM deshalb gern als „Digital Restrictions Management“ (digitale Beschränkungsverwaltung), und selbstverständlich haben findige Köpfe längst Mittel und Wege gefunden, die lästigen Einschränkungen zu umgehen. Das beliebteste Musikformat ist nach wie vor MP3.

Download strafbar

Dass der Download von urheberrechtlich geschützten Musik- und Filmdateien längst illegal ist, dürfte allen bekannt sein: Seit 2003 gibt es ein neues Urheberrecht, und die Verfechterin der Urheberinteressen und vor allem der Interessen der Vermarkter, Brigitte Zypries (SPD), bringt es mit einer markigen Zusammenfassung auf den Punkt: „Wer – ganz gleich ob gewerblich oder privat, entgeltlich oder unentgeltlich – Musik, Filme oder Computerspiele im Internet zum Download anbietet und verbreitet, ohne hierzu berechtigt zu sein, macht sich strafbar.“ Das hört sich nicht nur so an, als sei das bewusst auf die Tauschbörsen gemünzt, es ist auch so. Auch das Erstellen von Privatkopien ist nun strafbar, wenn dafür ein Kopierschutz umgangen wird. Sogar die ursprünglich vorgesehene Bagatellklausel wurde im März vom Bundestag gekippt.

Haben nun alle Angst, erwischt zu werden? Immerhin lassen sich rein theoretisch die IP-Nummern von der Quelle bis zum Ziel verfolgen, und der Provider kann anhand der Einwahlprotokolle feststellen, welche IP-Nummer zu welchem Kunden gehört. Dazu ist er gegenüber staatlichen Ermittlungsbehörden sogar verpflichtet. Offenbar scheint die Angst jedoch nicht allzu groß zu sein. Nur so lässt es sich erklären, warum sich inzwischen mehr als ein Drittel aller deutschen Internetnutzer bereits einen DSL-Anschluss samt Flatrate zugelegt haben. Für „normales“ Surfen reicht die Modem- oder ISDN-Verbindung allemal.

Ende Februar wurden in Belgien die Firmenräume des Schweizer Unternehmens Razorback durchsucht. Die Server wurden beschlagnahmt, der Inhaber festgenommen. Es soll sich um den weltweit größten und äußerst professionell aufgezogenen eDonkey/eMule Server gehandelt haben, über den Software, Musik und Filme illegal verbreitet worden seien. Hinter der ganzen Aktion steckte die Motion Picture Assoziation of America. Die Log-Datei, also die Liste der zu dieser Zeit aktiven 1,5 Millionen Nutzer, wurde jedoch nicht auf den Festplatten des Servers, sondern im 16 Gigabyte großen Arbeitsspeicher, dem RAM, gespeichert. Das bedeutet: In dem Augenblick, in dem die Polizei den Server abschaltete, waren die Logfiles gelöscht. Adieu Nutzerliste.

Der Text ist ein Auszug aus dem neuen Buch des taz-Autors Dieter Grönling „Drin sein ist alles. Wie das Internet die Welt verändert“ (Herder, 7 Euro). Gastautoren sind unter anderem: Carola Rönneburg, Petra Zornemann, Ute Springer, Corinna Stegemann und Michael Streck.