Von der Bühne in den Job

AUS UNNA GESA SCHÖLGENS

Eine verschlossene Tür. Dahinter gedämpftes Gelächter, das Quietschen von Turnschuhen. Plötzlich ein lauter Schrei: „Stellt euch vor, ihr seid in Hundekot getreten!“ – Die Tür öffnet sich, gibt den Blick frei auf ein helles Atelier. Kreuz und quer gehen 18 Jugendliche durch den Raum. Sie machen Verrenkungen, betrachten ihre Schuhe, verziehen angeekelt das Gesicht, rufen „Iieeh!“ und „Bäääh!“. Einige halten sich die Nase zu oder wischen sich unsichtbaren Dreck von der Sohle. Mitten im Gewimmel steht Theaterpädagoge Marco Janiel.

Die Jugendlichen haben eines gemeinsam: Sie sind jung, arbeitslos und spielen seit vier Wochen Theater im „Narrenschiff“ in Unna. Nicht nur als Vorbereitung für den großen Bühnenauftritt, sondern auch für den Start ins Berufsleben. „JobAct“ heißt das bundesweit einmalige Projekt, das Theaterpädagogik und Bewerbungstraining miteinander verbindet. Vier Monate üben die JobActer ein selbstgeschriebenes Stück ein. Nach der Aufführung absolvieren sie wiederum vier Monate lang ein Praktikum in einem Betrieb – in der Hoffnung, als Azubi übernommen zu werden. Am Ende soll die Hälfte der Jugendlichen eine Ausbildungstelle haben.

Viele von ihnen stecken schon jetzt in einer Zwickmühle aus ALG-II-Bezügen, Maßnahmen vom Arbeitsamt und Frust fest. „Da wollen wir sie rausholen, sie wieder aufrichten und mit einer konkreten Perspektive entlassen“, sagt Till Stauffer, künstlerischer Leiter der „Projektfabrik e.V.“ in Witten und verantwortlich für JobAct. Stauffer hat das Konzept mit seiner Kollegin Sandra Schürmann entwickelt. Finanziert wird JobAct von der Arge Unna, der Arbeitsgemeinschaft von Arbeitsagentur und Kommune.

Im Atelier sind die Schauspieler inzwischen von der Hundehaufen-Improvisation zu den wilden 20er Jahren in Berlin übergegangen. „Stellt euch einen Jazzabend mit Abendanzügen und Gin vor“, ruft Janiel. Sofort bilden sich kleine Grüppchen, die sich angeregt unterhalten und an unsichtbaren Gläsern nippen. Nur zwei junge Frauen blicken verständnislos, wissen nicht, wohin mit ihren Händen. „Mädels, Zigaretten sind überaus wichtig“, hilft der Pädagoge weiter. Sofort werden Kippen hervorgekramt, die Männer geben unsichtbares Feuer. „Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie hier im Nichtraucherbereich stehen, meine Damen?“, witzelt einer.

In der Pause versammelt sich die Gruppe auf dem Balkon. „Vor JobAct habe ich drei Monate nur Zuhause rumgesessen. Das war so langweilig, ich kann mir das heute gar nicht mehr vorstellen“, erzählt ein Mädchen, während es sich eine Kippe anzündet. Depressiv sei sie gewesen, lustlos und ohne Perspektive. „Klar gibt es Tage, wo ich trotz allem noch denke: ‚Was für eine Kacke.‘ Das merk‘ ich auch bei den anderen Leuten, dass die manchmal nicht gut drauf sind“, sagt Stefanie Bockisch. Es helfe aber nichts, sich nur deprimiert in eine Ecke zu stellen. „Dann muss man sich wieder motivieren, auch gegenseitig“, sagt sie, und wirft die langen blonden Haare zurück.

Bis zu sieben Stunden täglich verbringen die 18 bis 25-Jährigen mit Aufwärmübungen und Improtheater. Dadurch sollen sie mehr Selbstbewusstsein und Teamgeist entwickeln. „Die Jugendlichen sollen hinterher wissen: ,Das bin ich, das sind meine Stärken und Schwächen‘“, so Projektleiter Stauffer.

JobAct spielt sich aber nicht nur auf der Bühne ab. Jeden Montag ist im EDV-Raum Bewerbungstraining angesagt. Birgit Stenger von der „Werkstatt“ im Kreis Unna unterstützt die Gruppe dabei. Die Werkstatt ist Trägerin des Projektes und zuständig für Berufsvorbereitung. Im Internet suchen Stenger und die Jugendlichen gemeinsam nach Praktikumsstellen, die zu den Fähigkeiten der jungen Erwachsenen passen. Anschließend rufen sie die Firmen an.

Aus dem Telefontraining ergeben sich manchmal echte Vorstellungsgespräche. „Sie sollen im Gespräch einen guten Eindruck machen. Das ist dann eine Stärke, die viele bei den Noten nicht haben“, sagt Stenger. Jeder soll zudem lernen, dass er um seinen Job kämpfen muss. „Es kam auch vor, dass der Chef trotz Termins nicht da war und der Jugendliche sauer und genervt wieder nach Hause gegangen ist, ohne Arbeit“, erzählt Stenger. Überzeugendes Auftreten und Selbstbehauptung sind aus diesem Grund Schwerpunkte der theaterpädagogischen Arbeit.

„Ich habe jetzt mehr Plan, wie eine Bewerbung aussehen muss“, freut sich Thomas Berendt. „So 30 bis 40 Stück“ hat der 18-Jährige vor JobAct schon geschrieben, ohne Erfolg. „Lag wohl an meinen schlechten Noten“, meint der schlaksige junge Mann und grinst verlegen.

Stenger zeigt Thomas und den anderen auch, wie die Briefumschläge richtig frankiert und beschriftet werden. Ein Teilnehmer habe seine Post immer wieder zurück bekommen, da er jedes Mal Adresse und Absender vertauscht hatte. Andere hätten völlig unrealistische Berufswünsche: „Mit Hauptschulabschluss und ohne Erfahrung am Computer bekommt man keinen Ausbildungsplatz als Fachinformatiker.“ Stenger muss ihnen ihre Illusionen nehmen.

„Ich möchte Musik machen. Das ist meine große Liebe“, sagt Rainer Spannaus. Zuhause am Computer komponiert der 22-Jährige eigene Stücke. „Auf ein Label will ich aber noch nicht zugehen, das ist alles noch nicht ausgereift.“ Die Schule hat Rainer nach der 7. Klasse verlassen. „Das ist alles blöd gelaufen. Ich habe einen ziemlichen Absturz gehabt und auch meine Ausbildung als Koch versaut“, gesteht der schlanke junge Mann mit der Tarnjacke. Der Betrieb und die Arbeitszeiten hätten nicht zu ihm gepasst. Rainer durfte trotz fehlendem Abschluss bei JobAct mitmachen, da er viel Engagement signalisiert habe, so Stenger. Demnächst soll er probeweise in einer Baufirma arbeiten.

Vielen fiel es anfangs schwer, vor den Augen der anderen aufzutreten. „Ob ich mich vor einem Publikum auf die Bühne traue, weiß ich noch nicht“, gesteht Thomas. Auch Eva Zimmermann war zunächst skeptisch. „Am Anfang hab‘ ich gedacht: ‚Oh mein Gott, was soll ich mit Theater spielen?‘“, sagt sie. Die 22-Jährige hat 2002 die Realschule beendet und seitdem nur gejobbt. „Bis ich bei JobAct mitgemacht habe, hatte ich keine Ahnung, was ich beruflich machen soll.“ Jetzt habe sie viele Tipps bekommen. „Ab 1. Juli fange ich eine Ausbildung an einer Kosmetikschule an“, erzählt Eva zufrieden. Deshalb wäre sie auch Ende Juli leider nicht bei der Premiere dabei.

Ein Theaterstück fehlt den JobActern noch. „Die Jugendlichen dürfen sich ihre Themen selbst überlegen“, sagt Theaterpädagoge Janiel. Familie, Tod und Arbeitsamt waren die bisherigen Ideen.

Aus den abgeschlossenen JobActs in Recklinghausen und Castrop-Rauxel hat auch die Projektleitung etwas gelernt: „Diesmal sollen möglichst alle auf der Bühne stehen“, so Stauffen. Zwar gibt es auch hinter den Kulissen genug zu tun: Die Jugendlichen kümmern sich um Bühnenbild, Licht, Maske und Kostüme und machen auch die Öffentlichkeitsarbeit selbst. „Dennoch ist es wichtig, dass jeder mal vorne steht.“