Hamas an der Uni auf dem Vormarsch

Bei den Wahlen zum Studentenrat der palästinensischen Bir-Zeit-Universität im Westjordanland gewinnt die islamistische Bewegung sechzig Prozent der Stimmen. Dies gilt auch als Trotzreaktion auf das Einstellen der Finanzhilfe aus dem Westen

In Palästina gibt es die höchste Pro-Kopf-Zahl an Polizisten weltweit – aber keine Sicherheit

AUS RAMALLAH SUSANNE KNAUL

Einen Tag nach den Wahlen des Studentenrats an der Bir-Zeit-Universität ist die Stimmung auf dem Campus bei den Anhängern der ehemaligen palästinensischen Regierungspartei Fatah gedrückt. In Grüppchen stehen die Studenten zusammen, an ihre Umhängetaschen und Rucksäcke sind noch die weiß-schwarzen Bänder der Bewegung geknotet. Rund 60 Prozent konnten die Vertreter der gegnerischen islamistischen Hamas für sich verbuchen. Ein Ergebnis, das der Professor für Politikwissenschaften Salah Abd-el Jawwad begrüßt, obwohl er sich selbst als „durch und durch weltlich und radikalen Befürworter für eine Trennung von Staat und Religion“ bezeichnet. „Jedes andere Ergebnis hätte der Welt die falsche Botschaft gegeben,“ sagt er.

Jawwad winkt einen Studenten herein, der schüchtern an der Tür des Büros steht. Er verteilt die grünen Bänder und Mützen der Hamas. „Für meine Sammlung“, erklärt der Professor und verstaut die politischen Utensilien in einer Schublade. Natürlich müsse sich die Hamas ändern, meint er. Aber einen Richtungswechsel durch Streichung der internationalen Finanzhilfen für die palästinensische Regierung erzwingen zu wollen, sei aussichtslos. Stattdessen könne der Westen, „wenn er sich klug verhält, Palästina unter der Hamas zum Nachahmer des türkischen Modells werden lassen“.

Über Jahrzehnte gehörte Jawwad zu den engsten Wegbegleitern des verstorbenen PLO-Chefs Jassir Arafat, wurde zu einem seiner schärfsten Kritiker und hält ihn bis heute für den Hauptverantwortlichen für die palästinensische Misere. Korruption und Misswirtschaft wurden allerdings auch nach dem Tod Arafats weiter lebhaft vorangetrieben. Allein im vergangenen Jahr stellte die palästinensische Autonomiebehörde 30.000 neue Angestellte ein. 50.000 der mit öffentlichen Geldern bezahlten Bediensteten gehören zu den Sicherheitstruppen. „Bei drei Millionen Menschen ergibt sich daraus die höchste Pro-Kopf-Zahl an Polizeischutz weltweit“, rechnet Jawwad. „Sicherheit gibt es trotzdem keine.“

Die Frustration über die „Bande von Dieben“, zu der sich die Fatah entwickelt habe, wie ein Student resümiert, habe zu dem Wahlergebnis an der Universität geführt. Wie ein warnendes Signal, wohin die Reise unter der neuen Führung gehen kann, schreitet eine bis auf einen Schlitz vor den Augen verhüllte Frau über den Campus, vorbei an Studentinnen, die ärmellose Blusen und enge Jeans der religiösen Kleidung vorziehen.

„Wir befinden uns auf dem Verlierer-Gleis“, lächelt Saeb Erikat (Fatah) resigniert. Der frühere Minister unter Arafat und Chef-Friedensdelegierte resümiert das Ergebnis der Studentenratswahlen, das „nichts mit dem bisherigen Auftritt der neuen Regierung zu tun hat“. Wenige Wochen nach Vereidigung der Hamas-Minister ist es verfrüht, Schlüsse zu ziehen, wenngleich der erneute klare Sieg der Islamisten auch eine Trotzreaktion auf den westlichen Boykott sein dürfte. Die Palästinenser tun sich schwer damit, nachzuvollziehen, dass sie von der Welt bestraft werden, nachdem sie die demokratische Prüfung des Urnengangs Ende Januar erfolgreich bestanden hatten.

„Wenn die Hamas (in Bir-Zeit) verloren hätte, wäre das ein Erfolg für die USA gewesen“, erklärt Erikat, der, obwohl er mit seinen Fraktionsgenossen nun die Oppositionssitze im Parlament einnimmt, der Hamas-Regierung wenigstens eine Chance gewünscht hätte. Die Einstellung der westlichen Hilfsgelder, die ohnehin „nur zu Bruchteilen über die Regierung laufen“, kann er nicht nachvollziehen. Die Hoffnung, man könne die Hamas in den Bankrott zwingen, um danach per vorgezogene Parlamentswahlen erneut die Fatah an die Macht zu bringen, sei schon deshalb absurd, da „wir im Moment noch nicht einmal in der Lage sind, Wahlen in Bir-Zeit für uns zu entscheiden“.

Die Fatah war schon vor ihrer Niederlage bei den Parlamentswahlen vor drei Monaten ideologisch zerstritten. Seit Jahren sind Vorstandswahlen der Partei-Gremien überfällig, interne Reformen und eine klare Neuorientierung stehen auf dem Programm. „Wir sind noch keinen Schritt weitergekommen“, resümiert Erikat die Anstrengungen der letzten drei Monate. „Im Moment geht es wieder nur darum, wer welchen Posten einnimmt.“

Ein rasches Wiedererstarken des politischen Gegners hält auch in der neuen Regierung kaum jemand für denkbar. „Die Fatah hatte ihre Chance, und sie hat versagt“, so Mahmud Ramahi (Hamas), Generalsekretär des Parlaments. „Wenn wir auch versagen, wird etwas anderes kommen“, warnt er und erinnert daran, dass „wir unter den islamischen Bewegungen als moderat gelten“. Seine Regierung sei bereit zu Verhandlungen und Lösungen. „Wenn uns das nicht gelingt, wird die gesamte Region in tieferen Extremismus und Radikalismus abgleiten. Die ganze Welt wird den Preis dafür bezahlen.“

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