Mehr Spielkultur für die Rugby-Jünger

WM-QUALIFIKATION II Irland plant eine Fußballrevolution. Gegen Deutschland soll eine neue Ära beginnen

Eigentlich ist Joachim Löw ein Schöngeist. Eine hoch entwickelte Spielkultur ist dem Bundestrainer seit jeher wichtig.Und dennoch lag ein schwärmerischer Unterton in seiner Stimme, als er diese Woche über den eher rustikal agierenden Gegner seiner DFB-Elf gesprochen hat. „Eines können die Iren wahnsinnig gut, und das ist das Verteidigen“, erklärte Löw und hob zu einem Vortrag über die Kulturgeschichte des irischen Fußballs an. Die Leidenschaft für eine hingebungsvolle Defensivarbeit habe „so ein bisschen den Ursprung in ihrer Tradition, in ihrer Mentalität, im gälischen Football, im Rugby“, sagte der Bundestrainer geradezu begeistert.

In Irland fragten sich indes zuletzt immer mehr Leute, ob es nicht an der Zeit für eine Abkehr vom traditionellen Stil sei. Im Sommer hat der Nationalverband (FAI) mit Ruud Dokter einen Holländer eingestellt, der die Ausbildungsstruktur modernisieren soll. „High Performance Director“ lautet die offizielle Berufsbezeichnung des 57-Jährigen, der nach einer Karriere als Profi bei GRC Groningen den Großteil seiner Zeit im mittleren Dienst des niederländischen Verbandes KNVB verbracht hat.

Dokter wird die „Prinzipien der Nachwuchsarbeit überarbeiten“, sagte er diese Woche, um dann mittelfristig einen neuen Fußball zu entwickeln. Die irischen Fußballer sollen bessere Techniker werden, denn bis auf wenige Ausnahmen stehen die Nationalspieler der Gegenwart nur noch in Premier-League-Klubs aus unteren Tabellenregionen oder bei Zweitligisten unter Vertrag. Das war einmal anders, und die Chancenlosigkeit des Teams bei der EM 2012 gilt ebenso als Zeichen des langsamen Niedergangs wie die Tatsache, dass das Team in der laufenden WM-Qualifikation gegen Schweden und Österreich, die Konkurrenz um Platz zwei, sieglos blieb.

Deshalb haben sie erst mal Giovanni Trapattoni entlassen, der 74-Jährige ist nicht geeignet als treibende Kraft einer Erneuerung. „Spieler? Spieler sind Kinder“, hat Trappatoni kürzlich gesagt. Das hat für viel Empörung gesorgt. Künftig sollen die Profis wie Erwachsene behandelt werden, mündige Fußballer sind schließlich ein fester Bestandteil des modernen Fußballs.

Nach dieser Vorgeschichte war es recht einfach für Interimstrainer Noel King, die Stimmung aufzuhellen. Zunächst einmal verstärkte King, der eigentlich für die U21 zuständig ist, das Team, indem er die unter Trapattoni aus schwer durchschaubaren Gründen degradierten Spieler Andy Red (Nottingham Forest), Darron Gibson (FC Everton) Anthony Stokes (Celtic Glasgow) einlud. Als endgültige Lösung kommt King aber nicht in Frage. Der Verband würde gerne Martin O’Neill einstellen, doch der gefragte Fußball-Lehrer aus Nordirland, der zuletzt aufgrund einer Krankheit seiner Frau pausierte, liebäugelt wohl eher mit einem Job in der Premier League.

Jetzt wollen sie sich Zeit lassen, die nächsten Pflichtspiele stehen erst im September 2014 an, wenn die Qualifikation für die EM in Frankreich beginnt. Bis dahin wird das Team von King und von Dokter betreut. Und die beiden glauben zwar nicht mehr an die nur noch theoretisch vorhandene Chance, doch noch in Brasilien dabei zu sein, aber sie wollen sich mit einem Sieg beim Fußballgiganten Deutschland unsterblich machen. „Wir werden alles tun, was wir für richtig halten, um hier zu gewinnen“, sagt King, der vorhat, Löws klischeehafte Anschauung vom irischen Fußball ein wenig zu erschüttern: Er will etwas riskieren.DANIEL THEWELEIT