„Kollektives Betteln ist unzumutbar“

Alle Streikparteien sollen sich an den Verhandlungstisch setzen, fordert Gewerkschafterin Sylvia Bühler

taz: Frau Bühler, heute setzen die Klinikärzte ihren Streik fort. Das übrige Personal streikt seit Wochen. Warum kam es bisher zu keiner Einigung mit den Arbeitgebern?

Sylvia Bühler: Es kann gar keine Einigung geben, weil wir bisher noch gar nicht verhandelt haben. Der eigentliche Skandal ist, dass nach wie vor die Landesregierung, allen voran Finanzminister Linssen, kein grünes Licht für Tarifverhandlungen gibt. Dass die Klinikmitarbeiter im öffentlichen Dienst ohne tariflichen Schutz bleiben sollen, das ist starker Tobak. Die Landesregierung nimmt sogar billigend in Kauf, dass wir über zehn Wochen im Arbeitskampf sind und ein Ende nicht abzusehen ist. Dabei kann ein Streik auch am Verhandlungstisch verhindert werden. Das hat die IG Metall gerade bewiesen.

Die Ärzte fordern 30 Prozent mehr Gehalt. Ist das nicht total unrealistisch?

Die 30 Prozent muss der Marburger Bund vertreten. Das nichtwissenschaftliche Personal fordert nur 50 Euro mehr pro Monat und die Übernahme des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst. Wir fordern für die Ärzte natürlich auch bessere Arbeitsbedingungen. Bei der Arbeitszeit muss sich radikal was ändern. Die 36-Stunden-Schichten am Stück gehen überhaupt nicht. Nur dürfen sich die Ärzte ihre überlangen Schichten auch nicht abkaufen lassen, nach dem Motto, die werden ja gut bezahlt. Es ist hochgradig gefährlich, wenn Patienten von einem übermüdeten Arzt versorgt werden.

Warum kooperieren die beiden Gewerkschaften nicht miteinander?

Bis letztes Jahr saß der Marburger Bund noch mit am Verhandlungstisch. Bis wenige Stunden vor der Tarifvertragsunterzeichnung hat er alles mitgetragen. Dann ist er ausgestiegen und hat die Kooperation mit Ver.di aufgekündigt. Für eine Klinik ist das sehr schwierig, wenn eine Interessengruppe meint, einen Alleingang machen zu müssen. An einer Klinik kann man nur Berufsgruppen übergreifend gut zusammen arbeiten. Wenn die Ärzte nur für sich das Beste rausholen wollen, finde ich das sehr bedenklich.

Für die Kliniken bedeuten die Streiks hohe Verluste. Einige sehen ihre Existenz gefährdet, drohen mit Entlassungen. Gefährden die Streikenden nicht ihre eigenen Jobs?

Welche Chance haben denn Arbeitnehmer in diesem Land, um ihre Arbeitsbedingungen kollektiv zu regeln? Da gibt es nur die Form von Tarifverträgen. Streik ist ja das letzte Mittel, das Beschäftigte haben, um etwas durchzusetzen. Wenn diese Möglichkeit wegfällt, gibt es keine Chance mehr, Tarifverträge zu machen. Wir streiken nicht aus Jux. Wir haben uns das reiflich überlegt und alles probiert, um den Arbeitgebern und der Politik deutlich zu machen, dass es ohne ihr Einlenken zum Arbeitskampf kommt. Es gab keine Alternative. Sonst läuft es auf unzumutbares, kollektives Betteln hinaus.

Hat NRW nicht zu viele Unikliniken? Laut AOK Rheinland reichen drei zur medizinischen Versorgung aus.

Ich möchte wissen, wie die AOK zu diesem Ergebnis kommt. Man muss die Zahl der Kliniken doch in Relation setzen zu der Zahl der Menschen, die versorgt werden müssen. Nordrhein-Westfalen ist nun mal ein sehr bevölkerungsreiches Land. Baden-Württemberg hat zum Beispiel vier Kliniken, aber lange nicht so viele Einwohner. Die Unikliniken sind natürlich gefordert, in Zukunft besser zusammenzuarbeiten und Schwerpunkte zu setzen. Ich bin aber überzeugt, dass NRW sechs Uniklinken gebrauchen kann für Forschung, Lehre und Berufausbildung.

INTERVIEW: GESA SCHÖLGENS