Lasst uns drüber reden!

Mediatoren sind im Berufsalltag gefragt. Etwa am Bau oder in der Pflege, wo es häufig zu Konflikten kommt. In den USA wird bereits die Hälfte aller Rechtsstreitigkeiten außergerichtlich beigelegt. In Deutschland herrscht Nachholbedarf

VON MIRKO HEINEMANN

Die Situation: Der Bauherr eines Hauses möchte eine bestimmte Fenstergröße haben. Der Handwerker weiß, dass es für diese Größe keine Profile gibt. Er bietet eine kleinere Alternative an. Der Bauherr ist genervt. Er geht zum Architekten und macht ihm klar, dass er eine Menge Geld bezahlt, und dass der dafür gefälligst seine Vorstellungen zu verwirklichen hat. Der Architekt ist gefangen zwischen den Ansprüchen des Bauherrn und seinem Fachwissen, das sagt: Der Handwerker hat Recht. Es kommt zum Streit, womöglich vor Gericht.

Muss nicht sein, meint Roland Schüler. „Es gibt eine Technik, Konflikte von der persönlichen Ebene auf die Sachebene herunterzubrechen und zu einer Lösung zu kommen, die letztlich beide Seiten befriedigt.“ Diese Technik heißt: Mediation. Roland Schüler bildet Mediatoren aus. Er arbeitet beim Friedensbildungswerk Köln, das sich in seinen Seminaren auf Berufsgruppen auf dem Bau und in der Pflege spezialisiert hat, „einfach deshalb, weil es in diesen Bereichen besonders oft zu Konflikten kommt“.

In der Stadtplanung und im Siedlungsbau werden Mediatoren eingesetzt, um Konflikte zwischen Nachbarn auszuräumen. In der Pflege vermitteln sie bei Reibereien zwischen Angehörigen und Personal. An Schulen schlichten Mediatoren Konflikte zwischen Lehrern und Schülern, in immer mehr Betrieben werden Probleme mithilfe von Mediationsverfahren gelöst.

Kein Wunder, dass das Berufsbild im Kommen ist. Der Bundesverband Mediation e. V. hat in den vergangenen fünf Jahren die Anzahl seiner Mitglieder versechsfacht. Zugleich haben sich verwirrend viele Institutionen auf dem Markt etabliert, die Mediatoren-Ausbildung anbieten.

Dabei ist Mediator kein Hauptberuf, sondern eine Zusatzqualifikation. Meist stehen Mediatoren fest im Berufsleben, im dessen Rahmen sie die Mediation als zusätzlichen Service anbieten. „Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung für den Mediator. Daher sollte man den richtigen Stallgeruch mitbringen und Bescheid wissen, wie es in der Branche läuft“, sagt Inge Thomas-Worm vom Bundesverband Mediation e. V.

Die Berufsbezeichnung „Mediator“ ist nicht geschützt. Um dennoch eine einheitliche Qualität der Ausbildung zu gewährleisten, haben sich die drei großen Verbände der Branche, der Bundesverband Mediation, der Bundesverband für Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt und die Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation, auf Standards in der Ausbildung geeinigt. Dazu gehört eine praxisbezogene Ausbildung von mindestens 200 Stunden, Voraussetzung ist eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium. Ein Sonderfall ist die Lehrerausbildung zur Konfliktbewältigung an Schulen, die in kürzeren Kursen vermittelt wird.

Ortrud Hagedorn registriert einen regelrechten Ansturm auf ihre Lehrerkurse. Die Mediationsausbilderin und ehemalige Lehrerin aus Berlin hat das Lehrbuch „Mediation – durch Konflikte lotsen“ veröffentlicht. Darin beschreibt sie, wie mit dem von ihr entwickelten Modell des „Konfliktlotsen“ Schüler in die Verantwortung genommen werden und gemeinsame Lösungen erreicht werden können. „Die Lehrerausbildung ist zu wenig handlungsorientiert“, sagt Hagedorn. „Praxisorientierte Fortbildungsangebote wie die zur Mediation sind daher sehr gefragt.“

Wer eine Grundausbildung zum Mediator absolvieren will, muss mit Kosten von mindestens 2.500 Euro rechnen. Auf Wirtschaft und Recht spezialisierte Trainer nehmen gut und gern das Doppelte. Mancherorts, verrät Inge Thomas-Worm vom Bundesverband Mediation, geben zertifizierte Trainer Unterricht an Volkshochschulen. Inzwischen wird der Mediator von manchen Hochschulen auch als Aufbaustudiengang angeboten. So kann man es beispielsweise an der Fernuniversität Hagen, an der Ruhr-Universität Bochum oder an der Uni Frankfurt (Oder) zum Diplommediator beziehungsweise Magister bringen.

In der freien Wirtschaft werden Mediatoren immer gefragter. Bei Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, bei betrieblichen Umstrukturierungen oder bei Mobbing kommen Mediatoren zum Einsatz. Einige große Firmen, wie zum Beispiel SAP, BASF oder Bosch, leisten sich sogar fest angestellte Mediatoren. Die meisten arbeiten jedoch auf freiberuflicher Basis. Zwar könnten Alltagskonflikte, so der Kölner Mediationstrainer Roland Schüler, auch von Betriebsangehörigen gelöst werden. Liege allerdings ein komplexeres Problem vor, rät er, Mediatoren von außen hinzuzuziehen.

Roland Schüler sieht großes Potenzial: In Österreich und den Niederlanden sind Mediatoren aus dem Unternehmensalltag nicht mehr wegzudenken. Und in den USA wird bereits die Hälfte aller Rechtsstreitigkeiten außergerichtlich beigelegt – durch professionelle Konfliktbewältiger. Es lässt sich konstatieren: In Deutschland herrscht Nachholbedarf.