„Mein Ziel? Die Schöpfung zu bewahren“

HAUSBESUCH Ihre Eltern haben geweint, als sie erstmals wieder die Wiese mähte. Bei Katharina auf dem Bioland-Hof

VON ARNO FRANK
(TEXT) UND HELENA SCHÄTZLE (FOTOS)

Niederdünzebach in „Hessisch Sibirien“, östlich von Eschwege und unweit der thüringischen Grenze, zu Hause auf dem Bioland-Hof von Katharina Nennewitz, 50.

Draußen: Ein frei stehender und zweistöckiger Aussiedlerhof von 1958, der seitdem mehrfach an- und umgebaut wurde, direkt neben einer mäßig befahrenen Landstraße: „Als Kind habe ich hier Rollschuhfahren gelernt“, sagt Katharina Nennewitz, denn damals stand die Mauer noch, es gab keinen Verkehr. Dahinter staffeln sich bis an den Saum des Waldes sanft geschwungene Hügel, 30 Hektar naturbelassene Wiesen und Felder. Irgendwo dort draußen treiben sich die zwei Esel und zwölf Kühe herum und lassen sich nicht blicken. Zu sehen sind zwei „Hühnermobile“, fahrbar, damit die 500 Tiere nicht immer an der gleichen Stelle frei laufen müssen. Im Gras modert ein Kuscheltier ohne Augen, das hat sich eine der Katzen geholt. Neben der Haustür summt der Eierautomat. Der Gast wird schwanzwedelnd von Lotta begrüßt, einem furchtlosen Jack-Russell-Terrier.

Drin: Praktische und, wo’s geht, antiquarische Gemütlichkeit. Viel Holz, auf dem Boden die bunten Spielzeuge der Kinder. Mehrfach präsent ist die Maus aus der „Sendung mit der Maus“, daneben hängen romantische bis naive Landschaftsbilder von der Werra. Immer wieder öffnen sich überraschende Fluchten in den funktionalen Bereich des Anwesens, der Zugang zu manchen Räumen ist nur mit einem Tuch verhängt. Leben und Arbeiten gehen hier ineinander über.

Wer macht was? Hier hat Katharina Nennewitz „die Fäden in der Hand“, füttert die Hühner, befüllt den Automaten mit Eiern, gibt zwei Gänsen ihr Gnadenbrot und kümmert sich um die Kühe. Um deren Milch wiederum kümmern sich die Kälber selbst, gemolken wird nicht. Die Haltung der seltenen Rasse – Rotes Höhenvieh – wird mit Subventionen belohnt. Auf dem Hof helfen stets drei „Freunde“ mit psychischen Problemen, die hier „betreut wohnen können und mit anpacken“. Drei der fünf Kinder sind schon erwachsen. Die Älteste studiert in Leipzig „Zigeunerkunde“, Ziganistik, wie Katharina ohne Spott sagt. Den Jüngsten fährt sie noch jeden Morgen in den Kindergarten. „Wenn etwas mit den Kindern ist“, sagt sie, „muss eben alles andere warten.“

Wer denkt was? Katharina legt großen Wert darauf, die Natur so zu belassen, wie sie ist. Ohne Pestizide. Den Tieren möchte sie unnötige Qualen ersparen, hat zusätzlich rund 600 Küken aufgenommen, ein Pilotprojekt: Es handelt sich „um die Brüder der Legehennen“, die normalerweise sofort nach dem Schlüpfen „geschreddert“ werden. Hier sollen sie „noch ein schönes Leben“ haben, bevor ihr Fleisch verkauft wird. Sie selbst isst keines.

Katharina: Sie ist auf dem Hof aufgewachsen, hat im nahen Bad Hersfeld Milchwirtschaft gelernt und dann auf einem Hof im Westerwald gearbeitet, wo sie auch ihren Mann kennenlernte. Als er vor ein paar Jahren bei einem Unfall ums Leben kam, kehrte sie an die Werra auf das Gut zurück, das ihr Vater damals selbst gebaut hatte. Beide Eltern leben in einem Nachbarort: „Sie haben geweint, als sie mich erstmals wieder die Wiese mähen sahen.“ Ansonsten habe sie „alles bekommen, was ich mir gewünscht hatte“. Eine Familie, ein Leben mit den Tieren, und sogar in Afrika ist sie gewesen: „In Uganda. Dort wurde mir auch Land angeboten, dort hätte ich bleiben können.“ Politisch war es ihr aber zu unruhig. „Mein Ziel ist es, die Schöpfung zu bewahren. Und immer, wenn ich etwas anfange, erbitte ich Gottes Segen.“ Und wenn es dann doch schiefgeht? Sie lacht: „Tja, dann lag kein Segen darauf.“

Das erste Date: „Wir haben uns sozusagen an der Kuh kennengelernt.“ Im Westerwald war das, ihr zukünftiger Mann „kannte sich gut auch mit tiermedizinischen Fragen aus“. Leider war ökologische Landwirtschaft „nicht so sein Ding“.

Die Hochzeit: „Geheiratet haben wir ein halbes Jahr, nachdem wir uns das erste Mal begegnet waren.“ Es gab eine sachliche standesamtliche und eine romantischere kirchliche Hochzeit, „damit auch auf der Ehe ein Segen liegt“.

Der Alltag: Aufstehen „um halb sechs, sechs“, quasi mit den Hühnern, die dann gleich versorgt werden wollen, wie auch das andere Vieh. Die kleinen Kinder lümmeln auf dem Sofa, bis es Frühstück gibt. Danach wird abgearbeitet, was anfällt, und das ist eine Menge. Manchmal bleibt noch Zeit für einen Kaffee und die Zeitung. Radio hört sie nicht: „Was in der Welt passiert, das will ich eigentlich gar nicht alles an mich ranlassen.“ Deshalb bleibt sie am liebsten auf dem Hof und überlässt Besorgungen ihren Freunden. Manchmal schreien die Hühner, „dann weiß ich schon: Der Habicht ist da! Er tötet am Boden, deshalb hilft es manchmal, wenn ich die Tür öffne und auch schreie. Dann fliegt er weg.“ Sonntags genehmigt sie sich einen Fernsehabend: „Krimi, das hat sich so eingebürgert.“

Wie finden Sie Merkel? „Beeindruckend, wie sie sich durchsetzt. Und dieses gewaltige Arbeitspensum meistert.“ Sie könne es sich ja nicht leisten, einfach mal schlappzumachen. „Nicht so gut finde ich, dass sie neben sich niemanden duldet, keinen Nachfolger aufgebaut hat.“ Und „das viele Geld“ sollte auch „sozialer verwendet“ werden.

Wann sind Sie glücklich? „Oft“, sagt sie, „eigentlich meistens, wenn es allen um mich herum gut geht“. Dann setzt sie sich manchmal abends in der Dämmerung „mit einem Bier auf den Stuhl hinter dem Haus und ich betrachte das Land“.

Nächstes Mal treffen wir Wolfgang Grossmann in Berlin. Sie wollen auch einmal besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de