Wo großer Namen Seiten rascheln

FESTIVAL Auch der 22. Literaturherbst bringt wieder viel Establishment nach Göttingen

Heimelig ist’s in Göttingen. Kaum etwas innerhalb der Stadtmauer läuft der friedvollen Atmosphäre aus artigem Fachwerk, braven Dachzinnen und blitzsauberer Fußgängerzone zuwider. Eine Stadt, aus der es sich vor allem gut verschwinden lässt, spätestens nach dem Studium. Einmal im Jahr aber wird daraus – zumindest in den Augen der fröhlich zwitschernden Lokalpresse –, eine Art Mini-Ascot, wenn auch ohne Pferde. Dann sorgt ist Göttinger Literaturherbst.

1992 ins Leben gerufen von Christoph Reisner, inzwischen Geschäftsführer und Programmleiter, profitiert der Göttinger Literaturherbst vom praktischen terminlichen Anschluss an die Frankfurter Buchmesse und kann so mit vielen bekannten Namen aufwarten, mit auch internationalen Stars aus Literatur und Wissenschaft. Die inzwischen 22. Auflage bietet ab dem 11. Oktober wieder Großschriftsteller wie Daniel Kehlmann und Leon de Winter auf, dazu Uwe Timm, Georg Klein oder auch Ralph Dutli. Auch könnte sich der Besucher in diesem Jahr vom Historiker Christopher Clark darlegen lassen, weshalb die Schuld der Deutschen am Ersten Weltkrieg doch nicht so groß war. Der Philosoph Kurt Bayertz entfaltet am aufrechten Gang eine instruktive Geschichte anthropologischen Denkens und der Psychiater Borwin Bandelow präsentiert Waghalsiges über das Faszinosum „böser“ Täter.

So weit, so genretypisch: Als vor allem gewinnorientierte Unternehmung setzt ein Literaturfestival nun mal auf gut eingeführte Autoren und prominente Moderatoren. Riskante Talente, Unbekanntes vor dem Durchbruch gibt es auch beim Göttinger Literaturherbst nicht. Ist das schlimm? Nein, aber so berechenbar wie lieblos. Es ist alles wie immer in der freundlichen Leinestadt, wenn im Literaturherbst die Seiten rascheln und Berühmtheiten über den Brillenrand hinweg leise „Guten Abend“ sagen.  MICHAEL SAAGER

www.literaturherbst.com