Sartre hat angefangen!

LAUFSTEG „Every walk’s my catwalk“ – das gilt auch für die Uni. Nirgends sonst wird so viel mit Kleidung experimentiert: Das erste eigene Geld ist auf dem Konto und der Schlipszwang ganz weit weg

VON SONJA TRABANT
(FOTOS) UND JANA PETERSEN (TEXT)

Der Student, so war es lange Zeit die Regel, gilt als Gegenmodell zur Mode. Der Student an sich kleidete sich nicht, er ward ja nicht gesehen, hing in düsteren Lesesälen rum, wohnte in verschimmelten Buden, meinte, er sei befreit von dem ganzen weltlichen Wahnsinn der Gesellschaft. Musste immer denken, denken, denken. Denn was bitte war schon sein Äußeres, die profane Schale, gegen die blühende Strahlkraft seines Wissens, die radikal schönen Windungen seines Hirns?

So war das. Bis Jean-Paul Sartre kam. Schwarzer Rollkragenpulli, Jeans, gute Schuhe: Da war Denken auf einmal sexy, Stil sogar. An Sartres Rolli wird sich die Welt lange erinnern, wohl länger als an „Das Sein und das Nichts“.

Hochschulen sind ein stilistisches Probierfeld: Im Studium ist das erste eigene Geld auf dem Konto. Die Kaufkraft der Studierenden in Deutschland geht in die Milliarden, sie ist die höchste in Europa – mal abgesehen von der Schweiz. Studenten essen lieber fünf Wochen lang Spaghetti mit gar nichts, als diesen Wildlederblouson nicht zu haben oder das fünfzehnte Paar Nikes. Können sie auch, ist ja noch keine Familie da, die meckert.

Studenten wagen, kombinieren, stylen – weit weg von Kleiderordnung, Schlips- und Kostümzwang der fernen Bürojahre. 20 Prozent der Studierenden in Deutschland sehen sich laut einer Allensbach-Umfrage als „Innovatoren und Trendsetter“, 46 Prozent sagen: „Es macht mir Spaß, andere zu beraten.“ Und das tun sie: Modeblogs sind voll von Studenten. Modefirmen schicken Trendscouts an Unis, um den Stil der Entscheidungsträger von morgen aufzusaugen.

Was heute die individuelle Entscheidung ist, war im 15. Jahrhundert noch ein ganz großes Ding: Damals tobten und lagerten Studenten in Leipzig vor dem Haus des Rektors, um die strenge universitäre Kleiderordnung zu lockern. Wofür sie kämpften? Unbedeckte Hälse und Nacken, große Hüte, entblößte Gliedmaßen.