Widerborstig oben dran

Beim 2:2 zwischen dem FC St. Pauli und Holstein Kiel gab es am Ende doch noch einen Gewinner: Den FC Carl-Zeiss Jena. Die Thüringer besiegten die zweite Mannschaft des HSV und stehen nun auf einem Aufstiegsplatz

Freudig rissen die Kieler Spieler nach den neunzig Minuten am Hamburger Millerntor die Arme in die Luft und feierten mit ihrem aufstiegsträumendem Anhang. Ein 2:2 hatten die „Störche“ gegen St. Pauli durch Sven Boys späten Ausgleich in der 83. Minute noch ergattert. Ein Punktgewinn, der nach dem erneuten Sieg des Aufsteigers in Jena gegen die zweite Mannschaft des HSV (1:0) allerdings etwas verblasste. Statt Kiel steht nun Jena auf dem zweiten Aufstiegsplatz für die zweite Bundesliga. Holsteins defensiver Mittelfeldspieler Michael Niedrig schien dies schon zu ahnen, als er vorsichtig formulierte, dass es von Jena abhänge, ob es gegen St. Pauli nun ein Punktgewinn oder doppelter -verlust gewesen sei. Wie gut die Stimmung in Kiel angesichts des möglichen Aufstiegs ist, merkte man nicht nur an der lautstarken Atmosphäre des schleswig-holsteinischen Anhangs nach dem 1:0 durch eben jenen Michael Niedrig in der 15. Minute. „Die ganze Stadt wartet auf den Aufstieg“, sagte der Torschütze.

Großen Anteil daran hat der stoische Arbeiter Frank Neubarth. Der Trainer schwört sein Team vor jedem Spiel darauf ein, dass man in der Regionalliga nur mit hundertprozentigem Einsatz bestehen könne. „‘Spielerische Momente sind nur Zubrot‘, sagt er immer“, plaudert Niedrig schmunzelnd aus. Er weiß, dass es nicht diese Momente sind, die Kiel im Aufstiegskampf auszeichnen. Insofern hat sich der FC St. Pauli in dieser Saison besonders schwer getan. Nach den armseligen fußballerischen Versuchen unter dem Ex-Trainer Franz Gerber stand Andreas Bergmann in der Pflicht auch den wenig verwöhnten Zuschauern am Millerntor wenigstens ansatzweise so etwas wie Spielkultur zu präsentieren. Wie erfolgreich dieses schwierige Unterfangen sein kann, erlebte der FC St. Pauli gegen höher klassige Teams im DFB-Pokal. In der Regionalliga hat das Team es „wieder mal nicht geschafft“, wie es Thomas Meggle, Torschütze zum 1:1 (45.), auf den Punkt brachte. Trotz der 2:1-Führung in der 81. Minute durch Jens Scharping.

Das Verhältnis aus spielerischer Überlegenheit, Torchancen und Ergebnis stimmt zu selten, um aufzusteigen. „Wir spielen uns immer hochkarätige Chancen raus, aber die Quote ist nicht dementsprechend.“ Entsprechend erregt über das erneute Unentschieden und die nun wohl endgültig verpasste Chance zum Aufstieg, zürnte Trainer Andreas Bergmann. „Wir können doch nicht so naiv spielen, dass wir wieder das 2:2 bekommen.“ Wie selten zuvor sezierte er die individuellen Fehler seiner Spieler im Spiel gegen die Kieler, um sich gleich zu entschuldigen. „Ich bin gerade ungerecht, weil ich sauer bin, weil sich die Mannschaft wieder nicht selbst belohnt hat.“ Mit „Beharrlichkeit“ will Bergmann nun gegen diese „ständigen Widerstände im Entwicklungsprozess einer Mannschaft“ gegenangehen. Es könne nicht so bleiben, dass man ständig mehr Torchancen habe als der Gegner, aber dennoch nicht als Gewinner vom Platz gehe.

Es fehlt jene Widerborstigkeit, die sich die Kieler längst angeeignet haben. Beinahe wäre in den Schlussminuten auch noch das 3:2 für die Holsteiner gefallen. Nun müssen sie sich mit einem Punkt begnügen. Doch mit der Kieler Hartnäckigkeit, in den letzten Minuten ein Spiel immer noch zu wenden, könnte der Aufstiegsplan noch hinhauen.

OKE GÖTTLICH