Leben für den Fußball

Die Biografie eines jüdischen Weltbürgers aus Ungarn, der auszog, die Offensive zu predigen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Béla Guttmann war ein großartiger Fußballer. Er war einer der erfolgreichsten Vereinstrainer, der Erfolge in beinahe allen großen Fußballligen der Welt feiern konnte. Er war ein Weltbürger, er war Jude. Detlev Claussen hat die Spuren gesichtet, die Guttmann überall da hinterlassen hat, wo er für den Fußball tätig war. Er wollte mehr wissen, als er herausgefunden hat. Der Sozialwissenschaftler hat eine Biografie verfasst, die anhand des Lebens von Béla Guttmann die Entwicklung des Fußballs bis in die 1960er-Jahre nachvollzieht. Es ist die Lebensgeschichte eines Juden aus Mitteleuropa, der alles daran setzte, als Fußballfachmann wahrgenommen zu werden, der nicht als Überlebender angesehen werden wollte.

Guttmann hat Krieg und Judenverfolgung überlebt. Wie und wo, dafür hat Claussen keine Anhaltspunkte gefunden. Gerüchte, wonach Guttmann sich der Judenverfolgung durch eine Flucht nach Brasilien entzogen haben soll, ließen sich nicht bestätigen. Die Biografie der Trainerlegende weist eine Lücke auf. Guttmann selbst hatte kein Interesse daran, das Loch in seinem Lebenslauf zu füllen. Als der Krieg schon lange vorbei war, sprach er von zwei Lasten, die er an beinahe allen Orten, an denen er gearbeitet hat, zu tragen hatte: Immer hatte er es in zweierlei Hinsicht schwer – als Ausländer und als Jude.

Im Wien der 1920er-Jahre und auch zuvor schon in Budapest, wo er 1899 geboren wurde, wo er als 18-Jähriger seine Karriere als Fußballer begann, war Béla Guttmann Teil eines immer selbstbewusster agierenden jüdischen Bürgertums. Er war nicht Fußballer und Jude, er war ein jüdischer Fußballer. In der Wiener Profiliga spielte er für Hakoah, einen Club, der sich als Teil der jüdischen Sportbewegung jener Jahre sah. 1925 wurde Guttmann mit Hakoah österreichischer Meister. Der Ungar war ein Star in seiner Mannschaft, die eine ganz eigene Art des Fußballs zelebriert hat, einen Offensivfußball, dem die oft teigig agierenden Teams jener Jahre wenig entgegenzusetzen hatten.

Detlev Claussen schreibt die Geschichte Béla Guttmanns immer auch als eine Systemgeschichte des Fußballs. Er beschreibt, wie das schnelle Spiel aus Schottland den Gentlemanfußball aus England abgelöst hat, wie schottische Trainer zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ungarn Offensive predigten, wie die Angriffslust auf dem Feld in der Wiener Profiliga gelandet ist. Er berichtet vom Ruf der Hakoah-Mannschaft überall in der Welt, von gut besuchten Freundschaftsspielen des Guttmannclubs in den USA, in Ägypten, in Palästina. Als sich der Star von seiner Mannschaft abgenabelt hat, trug er den Offensivgeist in die Teams, in denen er spielte. Als Trainer forderte er von den vier Stürmern, die er meist spielen ließ, dass sie mindestens sechsmal pro Begegnung aufs Tor schießen müssen. Er trieb als Coach des FC São Paulo den Brasilianern die Angst vorm Torschuss aus und ist für Claussen damit einer derjenigen, die am ersten WM-Titel für Brasilien 1958 mitgewirkt haben. Und schließlich ist er derjenige, der den Fußball aus Portugal auf die ganz große Bühne gehoben hat. Der 5:3-Sieg von Guttmanns Benfica Lissabon im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Real Madrid 1962 ist für Claussen ein Meilenstein in der Fußballgeschichte, der Höhepunkt fußballerischer Meisterschaft, die Vollendung des Guttmann’schen Lebenswerks.

Claussen gerät hier regelrecht ins Schwärmen, seine Biografie zu einer Hymne auf den Offensivfußball.

Detlev Claussen: „Béla Guttmann – Weltgeschichte des Fußballs in einer Person“. Berenberg Verlag, Berlin 2006, 140 S., 19 Euro