Frank-Walter Steinmeier bleibt SPD-Fraktionschef – vorerst

SPD Hier tritt niemand zurück. Die Sozialdemokraten machen vor, wie man den Preis für eine Große Koalition hochtreibt und derweil Postenpolitik betreibt

BERLIN taz | Bei der ersten Sitzung der SPD-Fraktion im Reichstag ist es am Dienstag rappelvoll. 192 Sozialdemokraten nehmen künftig im Plenum Platz, 86 von ihnen sind neu. Die erhalten von den Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung jede Menge Unterlagen ausgehändigt, außerdem ihren vorläufigen Abgeordnetenausweis und eine BahnCard 100.

Das erste Treffen künftiger und ehemaliger Abgeordneter am zweiten Tag nach der Wahl ist eine Tradition. Es werden Reden gehalten, die ausscheidenden Parlamentarier werden verabschiedet, die neuen begrüßt. Erst tags darauf tritt die neue Fraktion zusammen und wählt ihren Chef. Meistens jedenfalls.

Diesmal sollte es schneller gehen. Mit einer Gegenstimme hat der Fraktionsvorstand beschlossen, die Wahl des neuen Vorsitzenden noch am Dienstag durchzuführen. Einziger Kandidat war Frank-Walter Steinmeier. Ein eiliges, wenn auch nicht ganz unübliches Verfahren, das einiges über die Nervosität aussagt, die nach der verpatzten Wahl unter den Sozialdemokraten herrscht.

Denn es gäbe für die SPD zwar mit Schwarz-Rot die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung. Doch ist dieses Bündnis seit dem 23-Prozent-Desaster von 2009 verhasst. Mehrere Landesverbände verlangen deshalb eine Mitgliederbefragung, wenn sie diese Kröte schlucken sollen. Wenn die Sozialdemokraten eine Neuwahl verhindern wollen, müssen sie ein Bündnis mit der Union ins Auge fassen. Und dann geht es auch um Posten.

Schon vor dem Wahltag war klar, dass im Falle einer Regierungsbeteiligung der SPD Frank-Walter Steinmeier wenig Ambitionen hätte, gemeinsam mit Parteichef Sigmar Gabriel am Kabinettstisch zu sitzen. Das Verhältnis der beiden gilt als ausbaufähig. Erst recht, seit im Vorwahlkampf Steinmeier hatte durchblicken lassen, er lege keinen Wert auf eine erneute Kanzlerkandidatur. Das zwang damals Parteichef Gabriel, überstürzt Peer Steinbrück zu präsentieren, dessen verstolperter Wahlkampfstart Legende ist.

Dass Steinmeier erneut den Fraktionsvorsitz anstrebt, war allen klar. Entsprechend hat Gabriel am Montag gesagt: „Frank-Walter Steinmeier bleibt Fraktionsvorsitzender“, er selbst wolle weiter das Amt des Vorsitzenden ausüben. Dann aber sagte Sigmar Gabriel noch einen Satz. Er dankte dem neben ihm stehenden Peer Steinbrück dafür, „dass du an Bord bleibst und die SPD gemeinsam mit uns führen willst“. Das klang, als strebe Steinbrück nach mehr. Gefragt, was Gabriels Äußerung zu bedeuten hat, antwortete Peer Steinbrück wolkig: „Das wird sich zeigen.“

Fraktionschef kann er nach der Wahl von Steinmeier nicht mehr werden. Vorerst jedenfalls. Parteichef Gabriel, verlautet aus SPD-Kreisen, könne sich vorstellen, in einer Großen Koalition Vizekanzler zu werden. Die Frage ist, wie sich Steinmeier entscheidet, wenn der Druck auf ihn wächst, erneut das Außenamt zu übernehmen. So viele fähige Leute für dieses schwierige Amt hat die SPD nicht. Fraktionsvorsitzender könnte er dann jedenfalls nicht bleiben. Dann stünde vielleicht Peer Steinbrück bereit. Bis es so weit käme, tobt in der SPD der Streit um Schwarz-Rot.

ANJA MAIER