Oben ist unten

ÜBERNAHME Die taz hat ihre Leitung schon oft aus der Hand gegeben. Diesmal geht es darum, eingefahrene Hierarchien im Haus infrage zu stellen

Vieles, was in anderen Zeitungshäusern Alltag ist, ist bei der taz unmöglich. Undenkbar, dass Chefredaktion oder Verlagsleitung sagen, in welche Richtung ein Kommentar gehen soll, oder verbieten, über dieses oder jenes zu berichten. Unabhängigkeit wird großgeschrieben – nicht nur, was die wirtschaftliche Seite, sondern auch, was die Strukturen im Haus betrifft. Die taz ist ein Gemeinschaftsprodukt. Die Redaktion diskutiert und streitet über die Auswahl und Gewichtung von Themen: manchmal lautstark, manchmal mit tränenerstickter Stimme. Bei der taz entscheiden die JournalistInnen, was ins Blatt kommt. Wirtschaftliche Beziehungen spielen so wenig eine Rolle wie die Wünsche der Anzeigenkunden.

Trotzdem haben sich über die Jahre explizite und informelle Führungsstrukturen etabliert. Solche Hierarchien sollten in erster Linie dafür sorgen, dass nicht nur die lautesten Stimmen gehört werden, sondern die klügsten Argumente am Ende siegen. So weit zumindest das theoretische Selbstverständnis.

In der Praxis sieht das mithin durchaus anders aus. Nicht, weil die KollegInnen die Gründungsideen der taz nicht mehr leben wollen. Wohl aber, weil sich in jedem System über die Jahre Strukturen herausbilden, die nicht nur positiv sind. Daher rührt die Idee, die taz für eine Woche auf den Kopf zu stellen.

Dass die taz ihre Leitung aus der Hand gibt, hat gute Tradition. So haben in der Vergangenheit Schriftsteller, Cartoonisten. Achtundsechziger-Aktivisten und andere Gäste immer wieder die Leitung für eine Ausgabe übernommen. Dieses Projekt will aber mehr, als nur eine spannende Eintagsfliege produzieren. Natürlich geht es dabei um andere Inhalte und Darstellungsformen. Die MacherInnen setzen bewusst andere Schwerpunkte, eine wesentliche Rolle wird die Verknüpfung Print und Online spielen. In einzelnen Bereichen haben die MacherInnen das Blatt ganz schön durcheinandergewirbelt: Manche stilprägende Seite oder Rubrik fällt ganz weg, einige Ressorts wurden zusammengelegt.

Das Projekt zielt in erster Linie aber nach innen. Weil es eben auch in der größten Schülerzeitung der Nation, wie die taz gern von Freund und Feind bezeichnet wird, etablierte Machtstrukturen gibt, die nicht immer dem Wohl der Zeitung und ihrer Entwicklung dienlich sind. In diesem Sinne gibt die Chefredaktion die Leitung gern ab. Ich bin gespannt auf die kommende Woche und die Debatten über das journalistische Grundverständnis, das Produkt, aber auch die Abläufe im Haus. Und darauf, ob und was wir davon in Zukunft beibehalten werden.

INES POHL

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