Auf der Hut

Nach der 0:3-Niederlage in Bremen zeigen sich die Verantwortlichen des FC Bayern München aggressionsgehemmt, obwohl sie Bundestrainer Klinsmann nach der Ausbootung von Oliver Kahn am liebsten an die Gurgel gehen würden

AUS BREMEN OKE GÖTTLICH

Wer weiß, vielleicht war es eine wohlgemeinte Geste Klinsmanns. Am Tag nach seiner Entscheidung gegen Oliver Kahn zeigte er sich im Bremer Weserstadion. Es schien, als wolle er direkt Anteil nehmen am Schicksal des Keepers, das er selbst mit der Ernennung Jens Lehmanns zum Nationalkeeper der WM ins Abseits gelenkt hatte.

Stilfragen wie diese bestimmen derzeit die Diskussionen um den Bundestrainer. Ginge es nach dem FC Bayern, hätte Klinsmann sich diese Dienstreise sparen können – wenn er mehr Fingerspitzengefühl in der Terminierung seiner Entscheidung gezeigt hätte. „Wir fanden den Zeitpunkt, einen Tag vor so einem wichtigen Spiel, unglücklich“, schimpfte Manager Uli Hoeneß. „Man kann auch andere Worte dafür verwenden“, fuhr er, an diesem Samstag ein wandelnder Hochdruckkessel, fort: „Wir wollten eine schnelle Entscheidung, keine Frage. Aber am Freitagnachmittag, vor dem wichtigsten Spiel der Rückrunde!? Das ist eine gewöhnungsbedürftige Angelegenheit. Wir hätten uns auch in aller Ruhe am Sonntagvormittag in München zusammensetzen können, aber möglicherweise wäre da schon wieder ein Flugzeug in Richtung Kalifornien unterwegs gewesen.“

Zwar betonte Bayern-Trainer Felix Magath nach dem 0:3, dass die Torwartentscheidung keinen Einfluss auf die Leistung der Münchner gehabt habe. „Beim Tabellendritten kann man verlieren. Da haben schon andere verloren, zum Beispiel Juventus Turin. Ich würde nicht die Entscheidung des Bundestrainers als Grund dafür nehmen, dass wir heute verloren haben“, sagte er. Die starke Leistung des FC Bayern mit seinen vielen Chancen, die bloß ohne Torerfolge blieben, wirft aber doch die Frage auf, ob die Torwartdiskussion nicht doch Spuren bei den Mitspielern Kahns hinterlassen hat – wie Kapitän Michael Ballack bemerkte: „Unsere Mannschaft hat schon mit Olli gelitten.“ Nicht, dass Kahn jemals das Gefühl wecken würde, Mitleid zu brauchen. Aber die Reaktionen des Bremer Publikums verdeutlichten, welche charakterschwachen Regungen Klinsmann bei den Fans auf den Rängen entlockt hat.

„Auswechselspieler, du bist nur Auswechselspieler“ sowie „Ohne Olli fahren wir zur WM“ waren noch Gesänge der harmloseren Art, die im Rund des Weserstadions waberten. Respektlose Reaktionen wie diese sind es, die den Doku-Soap-Charakter der langmonatigen Diskussion wiedergeben – allerdings sind die Kandidaten nicht freiwillig in den Container eingezogen. „Der Zeitpunkt war sicherlich nicht ideal, aber wir stehen dazu“, erklärte Jürgen Klinsmann im ZDF-Sportstudio. Der Ärger des Bayern-Managers Uli Hoeneß, der bei der Ankunft in Bremen am Freitag die Journalisten mit den Worten „Habt ihr sie eigentlich noch alle?“ begrüßte, wird zum Schutz seiner Spieler nachvollziehbarer. Dass die nach dem Spiel im Bus sitzenden Bayern-Spieler mit angelrutenartigen Teleskopkameras gefilmt wurden, bis einige von ihnen wütend gegen das Fenster schlugen, ist nur ein Auswuchs der Zudringlichkeiten vor der Weltmeisterschaft.

Bremens Anteilnahme fiel angesichts des Erfolgs zweigeteilt aus. „Wir haben hier kein Mitgefühl, weil Oliver Kahn drei Tore kassiert hat und wir 3:0 gewonnen haben, aber bei uns steht der Respekt vor dem Spieler ganz oben“, erklärte Werder-Manager Klaus Allofs. „Er ist und bleibt ein sehr guter Torhüter. Das hat er heute wieder bewiesen.“ Und weiter: „Es tat sicher weh, dass vom Publikum Jens Lehmann gefeiert wurde. Wenn man sieht wie ihn die Kameras auf Schritt und Tritt verfolgen, wie jedes Augenzwinkern und jede Mundwinkelbewegung interpretiert wird, dann ist das sicher keine schöne Situation für ihn, aber dennoch hat er stark gespielt.“

Klinsmann wird nun abwarten müssen, wie die Entscheidung von Oliver Kahn, als Nummer zwei auf der Bank die WM mitzuerleben, ausfällt. „Wir alle sind gut beraten, uns eine Bedenkzeit von zwei, drei oder vier Wochen zu nehmen und dann eine gute Entscheidung zu treffen“, forderte Uli Hoeneß, dessen Rat wohl in Richtung WM-Teilnahme für Kahn geht. Ob und wie glücklich Jürgen Klinsmann allerdings mit dem Reservisten Kahn wäre, der laut Hoeneß „in den nächsten Wochen sicherlich viel Zuneigung erfahren“ wird, bleibt unklar. Er wird mit der Situation umsichtiger umgehen müssen, um öffentliche Demontagen gar nicht erst möglich zu machen. Sonst könnte die Fußball-Weltmeisterschaft eine große Bühne für die Anteilnahme an der Kampagne gegen einen Trainer sein, der vieles richtig machen wollte, es aber falsch anpackte.