Das Modell Uwe V.

DUMONT Die Redaktionsgemeinschaft soll drei Wunder vollbringen: Sparen, „FR“ retten, Qualität steigern

Aktenzeichen: HRB 124611 B, Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, Stammkapital: 28.000 Euro

Geschäftszweck: „Die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse, die Berichterstattung über journalistische Themen, die Recherche, das Verfassen, die Produktion und die Veröffentlichung von journalistischen Inhalten aller Art und auf jedem technisch erdenklichen Weg, die Lieferung und der Austausch journalistischer Inhalte an Dritte […].“

Start: geplant für den 19. April, jetzt auf den 26. April verschoben

Offizieller Grund für die Verspätung: Möbel und neue Computer noch nicht da

VON STEFFEN GRIMBERG

Wahrscheinlich kann er die Frage nicht mehr hören, aber Uwe Vorkötter antwortet tapfer. Kommende Woche startet die neue Redaktionsgemeinschaft von Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau. Ein Hort von Edelfedern, eine Qualitätsoffensive, ein mutiger Schritt in die unsichere Zeitungszukunft, sagt der Verlag. Ein Einstieg, eine Entwicklung hin zur Zentralredaktion wie bei der WAZ in NRW und bei Springers Welt-Gruppe, fürchten viele in Berlin und Frankfurt.

„Nein, denn das ist genau nicht die Zentralredaktion“, sagt Vorkötter geduldig in seinem spartanischen Büro im 13. Stock des Verlagshauses am Berliner Alexanderplatz: „Wir fassen rund 25 Autoren aus der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau zusammen, damit sie künftig wichtige Themen für beide Zeitungen und für die anderen Abotitel von DuMont schreiben. Die Grundsatzentscheidung bleibt: Die Zeitungen werden an unterschiedlichen Orten von unterschiedlichen Redaktionen gemacht – und wir haben einen Autorenpool, der übergreifend für alle Titel schreibt. Das ist das Gegenteil einer Zentralredaktion.“ Und schon gar keine „Horrorvision“, wie der Deutsche Journalistenverband die Pläne vor einiger Zeit nannte.

Vorkötter klingt in diesen Tagen überall gleich: So hat er es dem DJV-Mitgliedsblatt Journalist erklärt, auf die Fragen des Branchendienstes Kress geantwortet. „Es gibt Vorkötter immer nur in der offiziellen Fassung“, sagt ein Redakteur. Doch überzeugt das, was er sagt?

Der Plan der Verlagsgruppe M. DuMont-Schauberg, deren Stammblatt der Kölner Stadtanzeiger ist und die 2006 zunächst die Frankfurter Rundschau und 2009 die Berliner Zeitung übernahm, klingt zunächst mal simpel: Die Berichterstattung aus Politik und Wirtschaft wird künftig überwiegend aus der gemeinsamen „DuMont Redaktionsgemeinschaft“ mit Sitz in Berlin bestritten. Mit Brigitte Fehrle, bislang Vorkötters Stellvertreterin bei der Berliner Zeitung, bekommt die „ReGe“, wie das neue Ding nicht eben liebevoll in der Redaktion am Alexanderplatz genannt wird, eine eigene Chefredakteurin. Ihr Stellvertreter wird Robert Heusinger, bislang Wirtschaftschef bei der FR. Auch der Kölner Stadtanzeiger und die nach der Wende übernommene Mitteldeutsche Zeitung aus Halle können – und sollen – sich aus dem Angebot des Pools bedienen. Der Kopf hinter all dem ist Uwe Vorkötter, auch wenn ihm die Durchsetzung viel zu lange gedauert hat.

Doch schon jetzt ist das Konzept aufgeweicht: Mit Arno Widmann und Harry Nutt sitzen zwei Frankfurter Feuilletonisten in der „ReGe“, auch der Sport ist mit einem Autor vertreten. Dafür soll beispielsweise die Berichterstattung über die Bahn in der Redaktion der Berliner Zeitung verankert bleiben: Die DB AG sei schließlich ein Berliner Unternehmen und spiele in der Hauptstadt eine entscheidende Rolle, sagt Vorkötter. Durchgehend Sinn macht das nicht.

Aber die grundsätzlichen Beschlüsse sind getroffen. Vorkötter wirkt entspannter als noch vor zwei, drei Monaten, als der DuMont-Vorstand Entscheidungen aufschob, die Arbeit stockte und ihn seine MitarbeiterInnen mit offenen Briefen traktierten: „Eine Auslagerung von Kernressorts der Berliner Zeitung widerspricht […] dem Redaktionsstatut […], das die Zeitung als Autorenzeitung mit einer Vollredaktion beschreibt und dabei dem Standort Berlin eine besondere Bedeutung beimisst“, schrieb die Redaktion Mitte Februar an die DuMont-Gewaltigen. „Diese Kernpunkte des Redaktionsstatuts sind keine bloßen Formeln in einem Regelwerk, sondern eine Verfassung, die sich die Berliner Zeitung selbst gegeben hat. Als solche ist sie von der Redaktion, vom Verlag und von der Chefredaktion anerkannt worden. (…) Wir streben keine juristische Auseinandersetzung an, sind aber notfalls in dieser zentralen Frage dazu bereit.“

Das klang deutlich nach Drohung. Überhaupt hatte die selbstbewusste Redaktion des Hauptstadtblatts ihren Helden nicht mehr lieb. Dabei hatte sich Vorkötter, von 2002 bis 2006 schon einmal Chef in Berlin, doch mit seinen RedakteurInnen gegen den Finanzinvestor David Montgomery gestemmt und wurde von dessen deutschen Statthaltern aus Berlin verjagt.

Es trieb ihn – in die Arme von DuMont. Die nächsten drei Jahre leitete Vorkötter die Frankfurter Rundschau (FR), orchestrierte massive Sparprogramme und die Formatumstellung hin zum Tabloid bei der immer noch angeschlagenen, einst so stolzen FR. Als DuMont 2009 in Berlin einstieg, war auch Vorkötter wieder da. Allerdings nicht als Chefredakteur beider Blätter, was er eigentlich angestrebt hatte. De facto hat er aber hier wie dort Macht: Er ist Vorsitzender der Versammlung aller Chefredakteure im Konzern, nur die Boulevardtitel gehören nicht dazu.

Bei Themen wie Personalabbau wird Vorkötter zum kalten Hund, bleibt aber ehrlich

In Frankfurt, wo der Verlust 2009 mit 18 bis 19 Millionen Euro laut Branchenkennern nochmal doppelt so hoch ausfiel wie ursprünglich vom Konzern kalkuliert, ist es ruhiger als in Berlin. „DRG“ heißt die „ReGe“ bei den FR-MitarbeiterInnen. DLRG, DuMont-Lebensrettungs-Gesellschaft, wäre passender, spotten Manche. Denn das Konstrukt muss die FR am Leben halten. Sonst ist auf lange Sicht am Main nichts mehr zu machen.

„Das Sanierungsprogramm bei der FR ist im vollen Gange“, sagt dagegen Vorkötter, Ziel bleibe, „bis 2012 in die schwarzen Zahlen zu kommen – übrigens unabhängig von allen Kooperationen und Synergien, die wir jetzt machen.“ Denn, und das wiederholt er oft in diesem Gespräch: „Die Redaktionsgemeinschaft ist ein Qualitätsprogramm mit Blick auf die Zukunft, kein unmittelbares Sparprogramm.“

Doch Vorkötter kennt die Frankfurter Verhältnisse viel zu genau, und auch im übrigen Konzern wachsen angesichts von Finanz- und Medienkrise keine Bäume mehr in den Himmel. „Wir wissen, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren nicht mit wachsenden Budgets agieren können.“ Darauf stelle man sich mit der Redaktionsgemeinschaft ein: „Um den Personalabbau, den es quer durch die Republik in fast allen Redaktionen noch geben wird, realisieren zu können, ohne dass die Blätter Schaden nehmen“, sagt der studierte Ökonom. Bei Themen wie diesem wird er zum kalten Hund, bleibt aber ehrlich: Es wird noch kälter werden. Entlassen werden soll niemand, DuMont setzt auf Fluktuation in den Redaktionen. Auch dabei lässt sich nachhelfen.

Die Frage bleibt, wer mehr bezahlt: Während viele in Berlin zu früh frohlockten, mit Vorkötters Rückkehr habe man endgültig der FR den Rang abgelaufen, sorgte Verlagspatriarch Alfred Neven DuMont für Gleichberechtigung: Rundschau und Berliner Zeitung sollten sich auf Augenhöhe begegnen. Das Herz von DuMont schlägt sowieso weiter am Rhein: Mitten im Gespräch steckt Brigitte Fehrle mit einer wichtigen Frage den Kopf zur Tür herein: Ob die „ReGe“ denn wirklich ihr Konto bei der Kölner Stadtsparkasse haben müsse? Aber sischer dat!