Arbeiter rein! Kleinunternehmer raus!

EU-Parlament befürwortet Öffnung des EU-Arbeitsmarktes für die osteuropäischen Beitrittsländer – aber die nationalen Dienstleistungsmärkte werden nur geringfügig für Anbieter aus anderen EU-Staaten geöffnet, beschließt die EU-Kommission

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Mit großer Mehrheit hat sich das Europaparlament gestern dafür ausgesprochen, den Arbeitsmarkt der gesamten EU für Interessenten aus den neuen EU-Ländern zu öffnen. Die Erfahrungen in Ländern wie Deutschland oder Österreich hätten gezeigt, dass die Einschränkung der Freizügigkeit zu mehr Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit führe. Illegale Wanderarbeiter könnten ihre Rechte nicht geltend machen. Das habe auch für die legal Beschäftigten Lohn- und Sozialdumping zur Folge. Zahlreiche Abgeordnete aus Deutschland und Österreich stimmten dagegen. Vor zwei Wochen hatte Berlin die deutschen Beschränkungen für Arbeitnehmer aus osteuropäischen Nachbarstaaten bis mindestens 2009 verlängert.

Bei der umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie hingegen fährt das Parlament einen deutlich weniger liberalen Kurs. Die meisten Abgeordneten lobten den neuen Vorschlag, den die EU-Kommission am Dienstagabend vorlegte. Sie folgt den Vorgaben, die das Europaparlament im Februar gemacht hatte: Alle Dienstleistungen, für die es bereits gesonderte Regeln gibt – wie Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Transport oder Hafendienste – sind von der Öffnung für Anbieter aus anderen EU-Staaten ausgenommen. Ferner gibt es, wie von der Parlamentsmehrheit gewünscht, eine lange Liste von Beispielen für Bereiche, die nicht für ausländische Konkurrenz geöffnet werden. Diese Liste kann jederzeit erweitert werden. So sind hoheitliche Aufgaben, Zeitarbeitsagenturen, Gesundheitsdienste sowie soziale Dienste ausgenommen. Die Abgeordneten hatten mit ihren Einschränkungen den Protesten der Gewerkschaften Rechnung getragen.

Der irische Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy, der das umstrittene Reformprojekt von seinem bei den Gewerkschaften verhassten niederländischen Vorgänger Fritz Bolkestein geerbt hat, machte in Straßburg aus seinen liberalen Überzeugungen keinen Hehl. McCreevy hätte sich von einer weiteren Öffnung der Dienstleistungsmärkte einen deutlichen Anschub für Wachstum und Beschäftigung versprochen. Der nun vorliegende Vorschlag, das ließ er durchklingen, wird nur in geringem Umfang neue Aufträge und neue Jobs schaffen. „Das ist aber immer noch besser als ein Gesetzentwurf ohne Chance auf Umsetzung, den man auf ein Podest stellen und für seine Schönheit bewundern kann.“ Immerhin biete das neue Gesetz Erleichterungen. Alle Informationen und Formalitäten müssen künftig bei einer einzigen Behörde zusammenlaufen. Anträge können auch elektronisch gestellt werden. Das bedeutet für den jeweiligen Betrieb eine enorme Zeit- und Kostenersparnis. Derzeit muss ein Kleinunternehmer in einigen Ländern mehrfach persönlich anreisen und Formulare ausfüllen, bevor er seine Arbeit aufnehmen kann.

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Kommission Zulassungsvorschriften künftig daraufhin prüfen kann, ob sie notwendig, gerechtfertigt, verhältnismäßig und nicht diskriminierend sind. Bislang blieb einem ausländischen Dienstleistungsanbieter, der sich unüberwindlichen bürokratischen Hürden gegenübersah, nur der Weg zum Europäischen Gerichtshof. Schikanen wie die französische Vorschrift, einen Einsatz im Land mehrere Tage vorher anmelden zu müssen oder für den Transport von Material nur ein in Frankreich zugelassenes Fahrzeug zu benützen, werden dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit nicht standhalten und mittelfristig verschwinden. Doch die Richtlinie enthält so viele Ausnahmen, dass für die Gerichte genug Arbeit bleibt.