WIEDERHOLUNGSZWANG
: Immer wieder sagen

In der Bahn wiederholte einer wie im Wahn 27-mal den Satz

Neulich gingen wir ins Theater. Ein Theater, das weiß ich jetzt, vor dem man sich in Acht nehmen muss, wenn man nicht gerade Helene Hegemann heißt und das Katastrophentheater mit der Muttermilch aufgesogen hat. S. hatte mir den Theaterbesuch zum Geburtstag geschenkt. Die sonst so verlässliche Schaubühne hatte sich in die Sommerpause verabschiedet. Unsere Auswahl war beschränkt. Volksbühne also.

Frank C. hatte uns mit einem Klassiker gelockt, mit Dostojewskijs „Spieler“. Das vierzehnte Mal nachdem Alexej Iwanowitsch im Crescendo „Die Russen und das Spiel vom Roulette!“ rief, schrie eine Stimme in mir, dass es Zeit sei, diesen Saal zu verlassen. Ich schaute zu S. rüber, die aussah, als hätte sie noch tausendmal mehr Lust, den Regisseur zu erwürgen, als ich. Nach der Hälfte der Vorstellung machten wir uns während der Pause aus dem Staub.

Ich fühlte mich frei und dachte: ab nach Kreuzberg, ab ins Vergnügen! Wir stiegen in die U-Bahn. Auf der Sitzbank gegenüber wiederholte einer wie im Wahn 27-mal den Satz: „Damals bin ich viel schneller gerannt als Ben Johnson.“ Ich fühlte mich nicht mehr frei. Ich fühlte mich eher wie im falschen Film.

Nach vier Stationen stiegen wir am Kottbusser Tor aus. Wir trafen uns mit ein Paar Kollegen von S. im Kvartira No. 62 und tranken Ginger Ale mit Gin und Gurke. Vielleicht war es die kuriose Mischung, vielleicht aber auch die Anspannung, jedenfalls trank ich einen Cocktail nach dem anderen, bis ich redselig wurde.

L. brachte mich nach Hause. Auf dem Heimweg sagte ich bestimmt 83-mal: „Es wäre besser, wenn du heut bei mir bleibst.“ L., der mich selten so haltlos erlebt hatte, grinste nur und wartete geduldig, bis ich nach vielen Minuten und vielen Versuchen, ihn noch zu einem weiteren Drink zu überreden, einlenkte, endlich ins Bett zu gehen. DENA KELISHADI