Gib Gummi!

Marzahn ist die Berliner Hochburg des Gummistiefelweitwurfs: Hier trainieren einmal die Woche die Mitglieder des Vereins „7-Meilenstiefel“. Clubchef Florian Lau ist Vizeweltmeister in der aus Finnland stammenden Sportart. Er kämpft auch darum, ernst genommen zu werden

VON FRAUKE ADESIYAN

Es herrschen finnische Verhältnisse an diesem Nachmittag auf dem Marzahner Sportplatz. Das liegt nicht nur an den reichlich kühlen Temperaturen – auch die Gummistiefel, die dauernd durch die Luft segeln, stammen aus dem nordischen Land. Dabei ist der ursprünglich finnische Gummistiefelweitwurf längst in Berlin gelandet.

Der Verein „7-Meilenstiefel“ hat anlässlich seines zweiten Geburtstags zu einem Turnier eingeladen. Neun Teams mit je drei Werfern sind gekommen. Mitten drin im Getümmel steht Fabian Lau. Mit Jeans, dicker Allwetterjacke und hochgekämmtem Pony stapft er über das Wurffeld und organisiert den Wettbewerb.

Der 19-jährige Gymnasiast ist trotz seiner jungen Jahre bereits eine Art Koryphäe des Gummistiefelweitwurfs. Er ist nicht nur Gründungsmitglied und Vorsitzender des Berliner Vereins mit seinen inzwischen 21 Mitgliedern, sondern auch offizieller Vizeweltmeister und Funktionär seiner Sportart: Im vergangenen Jahr wurde Lau zum Chef des damals frisch gegründeten Gummistiefelweitwurf-Bundesverbands erkoren.

Sein Ziel ist es, die deutschen Werfer in eine Liga mit Finnland zu bringen. Dort ist das Werfen der wenig aerodynamischen Gummistiefel bereits seit 1975 Mannschaftssport und wesentlich populärer als hier – noch. „Deutschland soll als Neuling in der Szene auf internationalem Niveau spielen“, sagt Florian Lau. Ihr Niveau müssen sie spätesten im Sommer des kommenden Jahres beweisen: Dann findet, wahrscheinlich Mitte Juni, die Weltmeisterschaft im Gummistiefelweitwurf statt – in Berlin.

WM 2007 in Berlin

Inzwischen versucht Lau erst mal, die Werfer des Geburtstagsturniers zu koordinieren. Die treten am Rande des Felds von einem Bein auf das andere und versuchen, sich mit Bechern voll dampfendem Glühwein warm zu halten. Durch ein Megafon ruft Lau nacheinander die Teilnehmer auf. Der Verein Rauen Latex 04 ist als Erstes am Wurf. Ein junger Mann im Vereins-Shirt wischt mit einen rosa Frotteehandtuch den Wettkampfstiefel sauber, stellt sich im Abwerfbereich auf, nimmt dann drei Schritte Anlauf. Unter den Anfeuerungsrufen der Zuschauer wirft er den Stiefel schließlich mit einer Ganzkörperdrehung in das trichterförmige Wurffeld – 31 Meter. Nicht schlecht.

„Die Technik ist entscheidend“, weiß Fabian Lau und geht ins Detail: Der Schaft des etwa ein Kilo schweren Stiefels wird zwischen Ring- und Mittelfinger gehalten, der Arm sollte beim Abwurf einen 80-Grad-Winkel zum Körper bilden. Mit dieser Technik hat Lau im vergangenen Jahr in Finnland den Vizeweltmeistertitel erworfen. Er schleuderte den biegsamen Treter genau 42,45 Meter weit.

Natürlich werfen sie nach den internationalen Regeln, die von Stiefelgröße über Seniorenklassen bis zum Wiederholungswurf alles detailliert reglementieren. „Der Wurf darf wiederholt werden, wenn der Stiefel einen Offiziellen innerhalb der Sektorlinien trifft“, besagen etwa die Vorschriften der „International Boot Throwing Association“.

Die Technik ist für Lau jedoch nicht die größte Herausforderung. Eher das spöttische Lächeln und die hochgezogenen Augenbrauen, die ihm meistens begegnen, wenn er von seinem Sport erzählt. „Die Leute denken, die Sportart ist ein reiner Spaß. Will man sie vom Gegenteil überzeugen, erntet man nur noch mehr Lacher“, erzählt er bei einer Aufwärmpause im Umkleideraum, wo die Sportler ihre rot gefrorenen Zehen an die Heizung pressen.

Auch die 7-Meilenstiefler sahen die Sportart zu den Zeiten ihrer Vereinsgründung noch reichlich locker. Sie hatten im Radio von dem Sport gehört – und kurzerhand zum Zeitvertreib ihren Club gegründet. Erst bei der Weltmeisterschaft 2004 in Estland ließen sich die Vereinsmitglieder von der Ernsthaftigkeit des Sports überzeugen. „Damals haben wir verstanden, welche Professionalität man auch von uns erwartet.“ Da klingt der Funktionär durch.

Diesen hohen Anspruch zu vermitteln ist seine Aufgabe und gleichzeitig sein Problem. „Wir sind in einem echten Zwiespalt: Einerseits gewinnen wir neue Leute nur über die Schiene Spaßsport, andererseits ist es uns aber wichtiger, ernst genommen zu werden“, sagt Lau.

Training jeden Mittwoch um 16 Uhr im Bürgerpark Marzahn