EIN FUSSBALLSTADION PROVOZIERT
: Bierernste Fangesänge

VON ERIC BONSE

Bisher gab es auf die Frage, was Belgien zusammenhält, zwei Antworten: Der König und der Fußball. Doch seit der vorzeitigen Abdankung von König Albert II. ist die belgische Monarchie auch nicht mehr das, was sie einmal war. Alberts ältester Sohn Philippe muss erst noch die Herzen der Belgier erobern. Als Bindeglied zwischen den streitenden Flamen und Wallonen taugt er noch nicht.

Und nun scheint auch noch die zweite tragende Säule des belgischen Gemeinwesens zu wanken: der Fußball. Auslöser der Krise ist nicht etwa ein Streit zwischen dem Tabellenführer Standard Lüttich und dem Zweitplatzierten SV Zulte Waregem. Der Konflikt entzündet sich an dem geplanten neuen belgischen Nationalstadion für die „Roten Teufel“ am Brüsseler Stadtrand. „Die Dämonen sind schon in das neue Stadion eingedrungen“, titelte die Tageszeitung Le Soir. Obwohl der Bau der neuen Arena noch nicht mal begonnen hat, liegen sich Flamen und Wallonen bereits in den Haaren.

Wie so oft geht es um die Sprache. Das Gelände für das geplante Stadion liegt an der Stadtgrenze zur Hauptstadt. Und zwar auf flämischem Territorium: im Einzugsgebiet der unter Bierfans bestens bekannten Gemeinde Grimbergen. Und in Grimbergen nimmt man es mit der Sprachpolitik bierernst. Französisch ist dort nicht erwünscht, selbst frankophone Brüsseler müssen Flämisch sprechen.

Im Dezember 2011 erließ die Bürgermeisterin sogar einen Erlass, in dem sie ihre flämischen Mitbürger aufforderte, Händler zu denunzieren, die sich der Sprache Molières und Voltaires bedienen.

Für jene Fußballfans, die des Niederländischen (von dem das Flämische abgeleitet ist) nicht mächtig sind, wird es also schwierig: Dürfen sie künftig nicht mal mehr une bière bestellen? Müssen sie gar auf ihre geliebten Schlachtrufe verzichten? Muss der Trainer der belgischen Nationalelf, der frühere Schalke-Spieler Marc Wilmots, seine Anweisungen demnächst etwa auf Flämisch geben?

Mais non, beschwichtigt der Brüsseler Regionalpolitiker Rudi Vervoort: „Das Stadion ist ein privates Bauwerk. Kein Cent aus Steuermitteln wird dort verbaut. Die Investoren können daher frei entscheiden, ob sie die niederländische, französische, englische oder deutsche Sprache wählen.“ Er gehe davon aus, dass niemand übergangen werde, nicht mal die Frankophonen.

In Grimbergen ist man anderer Auffassung. Die dort ansässigen Flamen fürchten – man mag es kaum glauben – eine Überfremdung durch die französische Sprache. Manche sehen in den Bauplänen sogar eine schleichende Annektierung durch Brüssel.

Der flämische Sportminister Muyters will den Bau daher vom Gebrauch der niederländischen Sprache abhängig machen. Die rechtsradikale Partei Vlaams Belang hat sogar eine Klage angedroht.

Welche Zukunft Belgien überhaupt noch hat, ist also ungewiss, wenn weder König noch Fußball das Land zusammenhalten können.