berliner szenen Informieren, korrigieren

Wachsame Stasi

Was macht eigentlich der durchschnittliche Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit im 17. Jahr nach der Wende? An seine Existenz im Verborgenen gewöhnt, erfährt man nur zufällig etwas über ihn. Zum Beispiel neulich von einem Wachschützer am Rande einer Institutsbesetzung an der Freien Universität. Als alter Westberliner war er wenig begeistert vom Zustand der Branche: „Früher gab es noch was zu schützen, aber heute? Ist doch alles von Stasi-Seilschaften durchsetzt. Wenn ich das nächstes Mal nach Angehörigkeit beim MfS gefragt werde, antworte ich mit ‚Jawoll!‘, vielleicht klappt's dann mit einer leitenden Position.“

Ganz so problemlos scheint sich der Alltag für die grauen Kampfgenossen dennoch nicht zu gestalten, leiden sie doch, so mein Informant, an einer déformation professionelle: „Die haben alle ’ne Klatsche. Ständig wollen sie wissen, woher man kommt, wohin man geht, was man macht …“ Die Firma, die für die Bewachung des Instituts zuständig gewesen war, habe den Auftrag verloren, weil die Wachleute, statt zu patrouillieren, nachts Akten und Rechner durchgegangen seien. Weil niemand an ihren Berichten interessiert war, fingen sie an, Klausurkorrekturen zu korrigieren, Gegengutachten zu verfassen und eine Berücksichtigung des Klassenstandpunkts einzufordern. Das Treiben fiel erst auf, als sie den Geburtstagskuchenplan der Sekretärinnen durcheinander brachten – um ein Haar hätte die Presse davon Wind gekriegt.

Die Wachleute seien danach „strafversetzt“ worden. „Leid tun können sie einem schon“, schloss der Wachmann versöhnlich, „die müssen jetzt auf Anweisung des Arbeitsministeriums Hartz-IV-Bescheide in den Ämtern prüfen, heimlich, nachts und auf Ein-Euro-Basis.“ CARSTEN WÜRMANN