„Generation Hoyerswerda“

NAZIS Patrick Gensing diskutiert mit Anwältin und türkischem Filmemacher über den NSU-Prozess

■ 39, der Journalist und Autor arbeitet u.a. für tagesschau.de und Publikative.orgFOTO: W. ROHWEDDER

taz: Herr Gensing, Ihr Buch über das rechtsextreme Spektrum ab 1989: Hat es Brockhaus-Format?

Patrick Gensing: Nein.

Worum geht’s genau?

Mich hat vor allem interessiert, unter welchen Umständen sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in den 1990er-Jahren radikalisiert hat. Was war das für eine Gesellschaft, die davon nichts wissen wollte? Mir sind also die Rahmenbedingungen wichtig. Der NSU ist Teil der Generation Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.

Was zeichnet diese Generation aus?

Das sind Nazis, die gelernt haben, dass man mit Gewalt erreichen kann, was man erreichen möchte – nämlich Ausländer zu vertreiben.

Was sind die Bedingungen dafür, so etwas lernen zu können?

Nach der Einheitswende blühte im Osten ein starker Nationalismus auf. Außerdem entstand ein Machtvakuum. Das nutzten rechte West-Kader mit dem Konzept der freien Kameradschaften in den Schubladen. Sie gingen in den Osten und es kam zur ideologischen Hochzeit. Dort trafen sie auf offenes Fußvolk.

Wer ist „die Mitte“, die laut Ihrer These den Rechtsextremismus mitzuverantworten hat?

Leute, die bei den jährlichen Protesten in Dresden die Antifaschisten als Problem sehen. Leute, die Nazis vor Strafverfolgung und Razzien warnen.

Hitlergruß in Hellersdorf: Ist ein Vergleich der heutigen aggressiven Stimmung gegen Asylbewerber mit Rostock-Lichtenhagen angemessen?

Ja und nein. Die Atmosphäre Anfang der 90er war deutlich aggressiver. Inzwischen gibt es viel mehr Widerstand, auch vonseiten der Politik. Wenn man sich aber beispielsweise die Asylhetze in sozialen Netzwerken ansieht, dann erinnert mich das an die Deppen von früher.

Haben Sie keine Angst, öffentlich über den NSU eine Lesung zu halten?

Weniger. Außerdem wird es eher eine Diskussion sein. Lesungen mag ich nicht. Ich habe Angela Wierig und Ayhan Salar eingeladen. Erstere ist Anwältin und vertritt die Schwester vom NSU-ermordeten Süleyman Tasköprü. Sie wird vom NSU-Prozess aus erster Hand berichten. Ayhan Salar – damit nicht wieder nur weiße Deutsche auf dem Podium sitzen – ist Hamburger Filmemacher und wird vor allem die Perspektive der türkischen Community auf den NSU-Prozess wiedergeben.  INTERVIEW: CABI

„Terror von rechts“ – Lesung und Podiumsdiskussion mit Patrick Gensing: 20 Uhr, Fanräume im Millerntorstadion