Zwischen Zwang und Anpassung

EU-PROSTITUTION Eine bulgarische Familie nutzte das Elend von Roma-Familien sowie das liberale deutsche Recht und organisierte über Jahre einen europäischen Prostitutions-Tourismus nach Bremen

Frauen wurden Opfer der Zuhälter-Familie, weil sie darauf hofften, das versprochene Geld zu erhalten

Die Befangenheitsanträge der Anwälte sind abgelehnt, nun kann der Prozess losgehen: Drei Bulgaren und einem Bremer Vermieter wird vorgeworfen, bandenmäßig seit 2006 bulgarische Frauen als Prostituierte in Bremen beschäftigt und ausgenutzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft listet 130 Vergehen auf. Sie will Zwangsprostitution nachweisen und malt dafür ein detailliertes Sittengemälde der Verhältnisse in dem bulgarisch-deutschen Rotlicht-Gewerbe.

Im bulgarischen Zuhältermilieu hat sich offenbar herumgesprochen, dass man in Deutschland gute Geschäfte machen kann: 2002 war das Prostitutionsgesetz von Rotgrün liberalisiert worden. 2006 entschied sich der jetzt angeklagte Bozhidar B., seine Geschäfte im bulgarischen Pleven nach Bremen auszuweiten. 2007 holte er seine Ehefrau und seine – damals noch minderjährige – Tochter nach, die beide mitangeklagt sind. Die Familie betrieb das Geschäft gemeinsam. Als sich das Oberhaupt später hauptsächlich in Bulgarien aufhielt, fungierten Frau und Tochter in Bremen stellvertretend als Zuhälter und trieben das Geld ein. Zwei andere Töchter und deren Lebensgefährten, gegen die ein gesondertes Verfahren ansteht, kamen auch nach und beteiligten sich.

Die Opfer der Zuhälter-Familie kamen freiwillig nach Bremen und wussten zum Teil, dass sie hier als Prostituierte arbeiten sollten. Auch ihre Familien schienen das zu wissen, jedenfalls die, die Geld aus Bremen überwiesen bekamen. Dass Bozhidar B. Zuhälter ist, muss zumindest in Pleven bekannt gewesen sein. Teilweise hatten die Frauen schon in Pleven für ihn auf dem Strich gearbeitet, andere gaben an, ihnen sei versprochen worden, er würde ihnen in Bremen einen Job als Kellnerin besorgen. Die Prostituierten haben im Laufe der Jahre immer wieder ihre Familien besuchen können.

Die Anklageschrift zeichnet ein kompliziertes Gemisch aus Freiwilligkeit und Zwang. Die Frauen, teilweise Bekannte oder sogar entfernte Verwandte der Zuhälter-Familie B., lebten in Bulgarien „in ärmlichsten Verhältnissen“, trug die Staatsanwältin vor, sie „lebten in Baracken in Roma-Vierteln“ und können weder lesen noch schreiben. Einmal in Bremen, wurden ihnen die Identitätspapiere abgenommen, teilweise fügten sie sich dem Druck der Zuhälter, „weil sie keinen anderen Ausweg sahen sich zu ernähren und weil sie darauf hofften, das versprochene Geld zu erhalten“, erklärt die Staatsanwältin.

Immer wieder kam es zu Vergewaltigungen durch das Familienoberhaupt. Als sich ihm eine der Frau mit dem Argument verweigerte, sie seien doch verwandt, nützte ihr das nichts. Hin und wieder schlug er laut Anklage kräftig zu, auch der mitangeklagten Tochter wird Gewalttätigkeit vorgeworfen. Sie hatte herausgefunden, dass eine der Prostituierten mit ihrem Freund geschlafen hatte, offenbar freiwillig. Das Opfer wurde nach den Schlägen kahl rasiert und nach Bulgarien zurückgeschickt. Auch eine andere Prostituierte bekam von der mitangeklagten Tochter Schläge, weil diese eifersüchtig war auf einen „intensiven Blickkontakt zu ihrem Lebensgefährten“.

Der deutsche Vermieter Udo Rüdiger Adolf H. sitzt mit auf der Anklagebank, ihm wird „Beihilfe zur Zuhälterei“ vorgeworfen. Zudem habe er selbst Verkehr mit einer der minderjährigen Prostituierten gehabt.

Am kommenden Freitag wird das Gericht darüber entscheiden, ob die Prostituierten als „Geschädigte“ in öffentlicher Verhandlung aussagen müssen oder nicht.  KAWE