Bloß keine Theoretiker

Hamburgs Uni-Senator Jörg Dräger bewirbt den Bachelor bei Personalchefs. Die Wirtschaft hat mit den neuen Abschlüssen bisher wenig Erfahrung und wünscht sich vor allem Bewerber mit mehr Praxiswissen

„In Ingenieurbüros sind Absolventen mit einem Bachelor nicht gefragt“

„Internationalität“ und „Interdisziplinarität“ oder „Etikettenschwindel“ und „Schmalspurstudium“? Lobeshymnen und Spottgesänge über die neuen Uni-Abschlüsse fügen sich zu einem schrägen Kanon zusammen. Doch der akademische Titelkampf ist Studierenden und Arbeitgebern bislang weitgehend rätselhaft. Fest steht nur: Bis 2010 wird die ganze EU auf Bachelor und Master umgestellt haben.

Um Aufklärung bemüht, lud die Hamburger Wissenschaftsbehörde kürzlich Unternehmen zu einem Workshop in die Handelskammer ein. Vor rund 100 Besuchern lobte Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) die neuen Studiengänge. Kürzere Dauer, mehr Internationalität, mehr Praxisnähe und mehr Absolventen: Die neue Struktur bringe Vorteile für alle Beteiligten, ist Dräger überzeugt.

Tatsächlich kann man den Bachelor schon nach drei Jahren in der Tasche haben. Für den Master braucht man weitere ein bis zwei Jahre. Die „Internationalität“ der neuen Abschlüsse ist dadurch gesichert, dass sie im Ausland anerkannt werden können.

Für ein Auslandssemester aber lässt ein Bachelorstudiengang meistens keinen Raum, wie Hans-Joachim Burkhardt von der Hamburger Arbeitsagentur aus Gesprächen mit Absolventen weiß. Individuelle Hochschulkooperationen könnten Abhilfe schaffen, aber die habe es auch schon zu Diplom- und Magister-Zeiten gegeben. Auch Dräger musste zugeben, „Internationalität“ bedeute eher, dass man nach einem Bachelor hier einen Master im Ausland machen könne.

Die Praxisnähe des Bachelor soll etwa mit Kursen in Rhetorik oder Präsentationstechniken erhöht werden. Einen Lerneffekt aber dürfte es nur geben, wenn die Seminare klein gehalten werden können. Hier sieht Ulrike Arens-Azevêdo, Vizechefin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ein Geldproblem: „Das ist nicht zum Nulltarif zu haben“, warnte sie in der Handelskammer.

Ob bei Fach- oder Sozialkompetenz: Der Schlüssel zur Berufsqualifikation sei Praxiserfahrung, waren sich die anwesenden Personalchefs einig. Sie forderten einen weiteren Ausbau von Pflichtpraktika und mehr Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Vitor Plath vom Germanischen Lloyd etwa hat keine Scheu, Informatiker mit einem Bachelor einzustellen, wenn sie Praxiserfahrung vorweisen können. Er hätte dies auch schon getan, „wenn der Kandidat nicht zum Masterstudium wieder an die Hochschule gegangen wäre“.

Michael Schindler von der Unternehmensberatung Atways hat noch keine Erfahrungen mit Bachelorabsolventen. Er zeigte sich aber offen gegenüber dem neuen Abschluss und betonte, er sei gespannt, ob die Umsetzung der ehrgeizigen Curricula halte, was sie verspreche.

Die kritischsten Worte fand Stefan Ehmann vom Ingenieursbüro WTM. Für Bachelorabsolventen sähe er keine Zukunft in seiner Firma, stellte er klar. Denn in seiner Branche seien allein Spezialisten gefragt – Master hätten da gute Chancen.

Die Qualifikation hänge nicht nur vom Titel ab, hielt Frank Schmith von Lufthansa-Technik dagegen. Weiterbildung sei noch im Beruf möglich. Auf „völlig neue Bildungsbiographien“ wies auch Annekathrin Niebuhr von der Arbeitsagentur hin. Der Bachelor „qualifiziert“ für den Beruf, meint sie: die spezifische Weiterbildung werde künftig jedoch stärker „Sache des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers sein“. Mathias Becker