Elektrischer Käfig als Selbstschutz

Ein 32-Jähriger steht wegen versuchten Totschlags vor Gericht: Er soll Polizisten zu einem Proberaum gelockt haben. Dessen Tür stand unter Strom. Der Mann hatte drei Tage durchgearbeitet und wollte sich so vor Einbrechern schützen

Normalerweise ist es am Sonntagvormittag ziemlich ruhig bei der Polizei. Nicht so am 11. Dezember vergangenen Jahres. Um 10.14 Uhr ging der erste Notruf bei der Polizeidirektion 21 in Spandau ein: Ein Mann meldete eine Schlägerei, in die ein Zivilpolizist verwickelt sein sollte. 26 Minuten später rief er wieder an: „Bitte, bitte, bitte, kommen Sie schnell.“ Weitere drei Minuten später: „Acht bis zehn Leute versuchen einzubrechen, ich muss das Fenster verrammeln. Es ist ernst!“ Doch es war eine Falle, wenn auch nicht unbedingt beabsichtigt. Gestern stand der Mann wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht.

Drei Streifenwagen mit sechs Beamten fuhren zu dem weitläufigen Industriegelände in Hakenfelde. Ein Beamter drückte an der metallenen Hintertür eine Klinke herunter, doch die war abgeschlossen. Durchs Fenster sah sein Kollege einen Mann, der mit Stromkabeln hantierte. Beim Anblick der Kabel schöpfte der Beamte Verdacht. Die Beamten drangen über eine Nebentür in den Probenraum einer Rockband ein. Dort fanden sie den 32-jährigen Jens M. und einen abenteuerlich gebastelten Stromkreis mit einem Fluter und zwei Kabelenden, die an der Klinke der Metalltür und im Türschloss endeten. Das andere Leitungsende befand sich in einer Steckdose. Eine Beamtin beschreibt die Situation: „Der Mann ist rumgewuselt wie im Gruselfilm.“

Mitten in einem solchen Film befand sich der Angeklagte offensichtlich seit etwa sechs Stunden: Seit drei Tagen mischte der gelernte Veranstaltungstechniker die Aufnahmen einer Band ab. Am Montag wollte er ein anständiges Resultat vorlegen. Um die Nacht nicht mit Schlafen zu vergeuden, rauchte er nicht nur Joints, sondern nahm auch Speed. Am Sonntagmorgen ging es dann los: Er hörte Stimmen, sah Schatten, die er für imaginäre Einbrecher hielt. Daraufhin rief er die Polizei.

Da seine Angst immer größer wurde, kam er auf die Idee, sich mit Strom zu schützen. „Ich habe intuitiv verkabelt, so wie ich es auf der Bühne machen würde“, sagte er vor Gericht. Beim ersten Versuch erzeugt er einen Kurzschluss, also schaltet er einen Verbraucher – einen 1.000-Watt-Fluter – dazwischen. Der elektrotechnische Gutachter stellte später fest, dass die Tür isoliert gewesen ist, das bedeutet, die Klinke stand unter Spannung. Wenn jemand, der Schuhe mit Gummisohlen trug, dort angefasst hätte, wäre nichts passiert: „Wie bei einem Vogel auf einer Hochspannungsleitung.“ Tödlich wäre es gewesen, wenn der Klinkendrücker Kontakt zum Treppengeländer gehabt hätte. Jens M. will das nicht glauben, meint, dass die Tür nicht unter Strom stand.

Seit zehn Jahren hat er mit der Polizei zu tun. Wegen Trunkenheit im Verkehr, Besitz und Einfuhr von Betäubungsmitteln wurde er zu Geldstrafen verurteilt. Vor vier Jahren brach er eine Alkoholtherapie ab, um seine Ausbildung als Veranstaltungstechniker abzuschließen. Der psychiatrische Gutachter, der ihm für den Tatzeitpunkt eine verminderte Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit attestiert, empfiehlt eine Drogentherapie. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. UTA FALCK