Anonyme Kommentare im Netz verbieten?
Ja

TROLLE Die „Huffington Post“ will eine Klarnamenpflicht für ihre User einführen. Wird die Debattenkultur im Internet dadurch verbessert oder stillgelegt?

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz. www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Arianna Huffington, 63, ist Chefredakteurin der Onlinezeitung Huffington Post

Die freie Meinungsäußerung steht den Personen zu, die für ihre Aussagen einstehen und sich nicht hinter Anonymität verstecken. Seit jeher ist es für die Huffington Post von zentraler Bedeutung, ein höfliches Umfeld für Gespräche zu schaffen. Von Anfang an wurden unsere Kommentare vor der Veröffentlichung moderiert. Dafür haben wir in modernste Technologien und menschliche Moderatoren investiert. Nun wollen wir einen Schritt weitergehen, um unsere Plattform – bei der es uns schon immer um Engagement und Gemeinschaft ging – weiterzuentwickeln und an die Bedürfnisse des erwachsenen Internets anzupassen.

Nicole Zillien, 38, vertritt die Professur für Mediensoziologie der Universität Trier

Die Entscheidung der Huffington Post befeuert die Debatte, ob wir nach und nach Freiheit gegen Kontrolle, Regulierung, Langeweile, Zwang eintauschen. Ziel der Klarnamenpflicht ist eine Reduktion übelmeinender Beiträge, die durch vierzig Moderatoren und automatisierte Kontrollen nicht mehr in den Griff zu bekommen waren. Auch eine namentliche Registrierung – darauf weisen empirische Studien und ein koreanisches Realexperiment hin – löst das Problem möglicherweise nicht. Aber einen Feldversuch bei einer der kommentarlastigsten Nachrichtenseiten ist es wert! Denn ein freiheitlicher Diskurs ist im Onlinedickicht der Trolle und Spams aktuell kaum noch auszumachen.

Marcus Stölb, 39, leitet die Redaktion der Online-Lokalzeitung für Trier, 16vor

Wer mit seinem richtigen Namen für einen Standpunkt eintritt, tut dies in aller Regel sachlicher und durchdachter als Leser, die sich als „Milchschnitte“ oder „Kopfschüttler“ zu Wort melden. Bevor wir auf 16vor die Klarnamenpflicht einführten, waren wir mitunter stundenlang mit der Moderation anonymer Zuschriften beschäftigt; Zeit, die uns für unsere eigentliche Arbeit fehlte. Schalteten wir einen Kommentar nicht frei, weil er Beleidigungen oder falsche Tatsachenbehauptungen enthielt, ließen „Milchschnitte“ und Co. mit ihrem „Zensur“-Vorwurf nicht lange auf sich warten. Das sprach dann wieder für sich – und für die Klarnamenpflicht.

Frank Schroeder ist taz-Leser und hat unseren Streit auf taz.de kommentiert

Soll ich euch sagen, warum wir Klarnamen brauchen? Aus Mitleid mit der Redaktion. Im Ernst! Die grassierende Unfähigkeit, zu formulieren, gepaart mit jener, fehlerlos zu schreiben, macht das Filtern der Kommentare doch zur Tortur. Ich fühle dramatisch mit. Dummschwätzen kann jeder, aber bitte mit Arsch in der Hose! Ich heiße Frank Schroeder und lebe in St. Gallen. Danke. Wegklicken.

Nein

Konstantin von Notz, 42, ist netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen

Von konservativer Seite fallen häufig Floskeln wie die, dass es auch im Netz ein „Vermummungsverbot“ geben müsse. In Zeiten von Prism und Co. macht das vor allem eines deutlich: Noch immer scheint nicht bei jedem angekommen zu sein, dass die Gewährleistung von anonymisierter Nutzung des Internets eine wichtige Schutzfunktion erfüllt. Daher sind Anbieter sogar gesetzlich verpflichtet, eine solche Nutzung ihrer Dienste zu ermöglichen. Gemeinsam müssen wir uns für einen besseren Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher und privatwirtschaftlicher Ausspähung einsetzen. Die Möglichkeit, anonym das Netz zu nutzen, ist konstituierend für den Grundrechts- und Datenschutz.

Markus Beckedahl, 36, ist Gründer und Betreiber von netzpolitik.org

Die meisten der über 140.000 Kommentare auf netzpolitik.org sind nicht qualitativ hochwertig, allerdings bereichern viele andere Kommentare die Artikel auch. Facebook ist der beste Beweis, dass eine Klarnamenpflicht nicht hilft, zivilisiertere Debatten zu ermöglichen. Wohl aber verhindert eine Klarnamenpflicht, dass intelligente Kommentare geschrieben werden, denn mancher will nicht für jede heutige Meinung in Zukunft belangt werden. Eine freie Gesellschaft braucht die Möglichkeit, auch anonym die eigene Meinung verbreiten zu können. Die Spinner kann man auch löschen.

Hans-Peter Uhl, 69, ist innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion

Anonyme Meinungsäußerung gilt in der analogen Welt als feige und wird bei Leserbriefen in Printzeitungen nicht geduldet. Im Internet jedoch birgt die Verwendung von Klarnamen die Gefahr der Profilbildung durch Dritte. Klarnamen dürften daher Suchmaschinen nicht zugänglich gemacht werden. Unter der Voraussetzung eines besseren Schutzes wäre die freiwillige Umstellung der Onlineforen – kein gesetzlicher Zwang – auf Klarnamen zu begrüßen. Diskussionen könnten dadurch sachlicher werden. Das gilt natürlich nicht für Foren zur Selbsthilfe oder zu Jugendschutz- und Gesundheitsthemen, wo Anonymität prinzipiell erforderlich ist.

Horst Seeger, 69, ist taz-Leser und hat unseren Streit per Mail kommentiert

Ich lebe in Mosambik, dem Nachbarland von Zimbabwe. Dort gibt es einen Facebook-User namens „Baba Jukwa“. Das ist nicht sein echter Name. Würde er den benutzen, wäre er schon tot oder lebenslänglich im Gefängnis. Er berichtet nämlich über Vorgänge aus dem inneren Machtzirkel der Regierungspartei ZANU-PF. Das gefällt den Mächtigen dort gar nicht. Weltweit gibt es sicher etliche solcher „Baba Jukwas“. Kann man von ihnen erwarten, dass sie ihre Identität preisgeben?