Frauen wollen Bildung und Status

„Wenn ein Mann zum Urologen geht, ist er für uns Frauen impotent“

AUS ACCRA HAKEEM JIMO

Die Spritze erlaubt Linda unbeschwerten Sex. Wenigstens für drei Monate. So lange wirkt die Verhütung. Ansonsten könnte die zierliche Frau erneut schwanger werden. Aber mehr als vier Kinder können sich die 33-Jährige und ihr Ehemann einfach nicht leisten. Denn für die Verkäuferin von Kosmetikprodukten und den Automechaniker läuft es wirtschaftlich zur Zeit nicht gut.

Lindas Mann weiß, dass seine Frau in der Klinik der ghanaischen Organisation für Familienplanung alle drei Monate die Verhütungsspritze bekommt, und er ist einverstanden. Damit ist er für ghanaische Verhältnisse eine Ausnahme, denn viele Frauen verhüten heimlich. „Die Männer denken: Wenn sie verhüten will, dann kann das nur heißen, dass sie mit anderen ins Bett will“, sagt die Expertin Deborah Kwablah von der größten Organisation für Familienplanung, PPAG (siehe Interview).

Die PPAG (Planned Parenthood Association of Ghana) ist die wichtigste Organisation für Familienplanung in Ghana. Ihr Ziel: Aufklärung der Bevölkerung, vor allem der Jugend, über Sex und Fortpflanzung, respektvoll und ohne Diskriminierung. In zwölf eigenen Kliniken bietet die PPAG einen vielfältigen Service: Familienberatung, HIV-Test, Folgebehandlung unsachgemäßer Abtreibung, Vor- und Nachgeburtshilfe, Fruchtbarkeitstherapie, Verabreichen von Verhütungsmittel und der „Pille danach“. Linda bekommt ihre Dreimonatsspritze seit anderthalb Jahren in der PPAG-Klinik der ghanaischen Hauptstadt Accra. Auch ambulante Eingriffe wie das Kurieren von Geschlechtskrankheiten bis hin zu kleineren Operationen finden in der Klinik statt. Eine Reihe dieser Dienste kamen jüngst hinzu, weil der Klinikbetrieb sich mehr und mehr selbst finanzieren muss.

Seit Neuestem kommt zweimal die Woche ein Urologe in das Krankenhaus. Die Sprechzeiten der Männer liegen bewusst an Tagen, an denen Frauen nicht kommen. Denn ghanaische Männer empfinden es als Spießrutenlauf, wenn nicht gar öffentliche Hinrichtung, sollten sie an Frauen vorbei ins Sprechzimmer gehen müssen. Ganz unrecht haben sie nicht, gibt PPAG-Mitarbeiterin Deborah Kwablah zu. „Wir Frauen haben da Vorurteile“, sagt auch Linda. „Wenn ein Mann zum Urologen geht, ist er für uns Frauen impotent.“ Solange Männer in diesem Teil der Welt eine Erektion bekämen, sagt Kwablah, sei die Welt für sie in Ordnung und sie gingen ganz selbstverständlich von ihrer funktionierenden Fruchtbarkeit aus. „Männern hier klarzumachen, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat, brauchte eine lange Zeit und wir sind noch immer dran.“ Die Erkenntnis kommt langsam an: Die Wartezimmer sind an den Tagen, an denen ein Urologe praktiziert, zunehmend voll.

Mit der Sorge um die Manneskraft hat PPAG wieder den Zeitgeist in Ghana getroffen. Die Nichtregierungsorganisation war schon oft Vorreiterin für sexuelle Aufklärung. Als ältester Verband kümmert sich PPAG seit 1967 um das sexuelle Wohlergehen der ghanaischen Bevölkerung. In den vergangenen fast 40 Jahren hat sich dabei einiges geändert. Emmanuel Obeng, Programmbeauftragter von PPAG, sagt: „Heute läuft vieles über die Massenmedien oder Gemeinschaftsschulungen. Früher hingegen mussten unsere Leute von Haus zu Haus ziehen. Nicht selten wurden sie vom Hof gejagt. Das kommt zum Glück heute nicht mehr vor.“

Aoufas Mutterglück begann im Januar, als ihr erstes Kind auf die Welt kam. Da lebte sie noch kein halbes Jahr mit ihrem Ehemann zusammen. Gleich nach der Hochzeit, wie es die Tradition hierzulande vorgibt, haben sie das gemeinsame Haus bezogen; die Fotos im Wohnzimmerregal sind alle noch neu. Erst vor ein paar Monaten beendete Afoua ihr Studium. An der Universität hatte sie auch ihren Mann kennen gelernt.

Afoua ist 25 Jahre alt, in Ghana das durchschnittliche Heiratsalter. Früher heirateten Frauen weitaus jünger. Häufig waren die jungen Frauen nicht einmal volljährig. Nun aber setzt sich die Einsicht durch, dass eine bessere Ausbildung auch für Mädchen vorteilhaft ist. Zum einen benötigen immer mehr Jungfamilien das Gehalt beider Partner. Außerdem soll der Partner beziehungsweise die Partnerin einen möglichst hohen gesellschaftlichen Status haben.

„Männer denken, wenn sie verhütet, will sie mit einem anderen ins Bett“

Zwar spielt das Ansehen der Familie immer noch eine gewichtige Rolle, der individuelle Erfolg wiegt jedoch zunehmend schwerer. Viele Heiratskandidatinnen suchen überwiegend nach zwei verschiedenen Männertypen. Jenen, die es schon geschafft haben und eine soziale Absicherung versprechen. Allerdings vermuten Frauen bei ihnen später eine böse Überraschung nach dem Motto: Wenn er zwischen vielen auswählen konnte, warum nahm er mich? Und dann jene jungen, ehrgeizigen Männer, deren Erfolg sich erst noch einstellen muss. Zwar kann man das Leben zusammen aufbauen, doch fürchten die Frauen, wenn er es geschafft hat – und das nicht selten auch mit letzter Aufopferung der Frau –, sucht er sich eine neue Partnerin oder Zweitfrau, die „vorzeigbarer“ ist als das alte Arbeitstier.

Für welchen Männertyp sich ghanaische Frauen auch entscheiden, Kinderlosigkeit ist keine Option. Die Nachkommen bedeuten nach wie vor den Segen der Ehe. Allein der Wunsch nach der Kinderzahl hat sich verändert. Früher waren acht Kinder keine Seltenheit – der Nachwuchs sicherte die Altersversorgung der Eltern. Heute kalkulieren jedoch viele Familien bei ihrer Lebensplanung mit ein, dass es teuer ist, viele Kinder zur Schule zu schicken. Im Durchschnitt bekommt eine Frau in Ghana nur noch 4,1 Kinder.

Afoua hat eine klare Vorstellung. Sie will drei Kinder haben. Ob sie danach zur Familienplanung von PPAG geht, weiß sie nicht. Ganz geheuer ist ihr Familienplanung nicht. Die meisten Frauen in dieser Region vertrauen auf den Rhythmus ihres Menstruationszyklus. Linda dagegen will nach vier Kindern nicht mehr darauf vertrauen. In drei Monaten sieht sie die Schwestern der Klinik wieder.