in der taz vor zehn jahren: ralf fücks über die traditions-spd und ihre probleme mit den grünen
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Die Bundesregierung, obwohl bis zum Hals im Schlamassel, wittert nach den Wahlen Morgenluft. Rot-Grün präsentiert sich nicht als selbstbewusste Machtalternative, sondern dank der SPD als selbstquälerische Verlierernummer. Regelmäßige Appelle an die SPD, endlich rot-grünes Reformprofil zu zeigen und eine klare Richtungsentscheidung zu treffen, werden nicht fruchten. Sie hat weder das Personal noch die politische Entschlossenheit zu diesem Wagnis aufs Ganze. Sie bleibt in die Interessen ihrer Wählerschaft eingeklemmt – zwischen strukturkonservativer, national gefärbter Industrie- und Sozialpolitik und den ökologisch aufgeklärten, emanzipatorischen Einstellungen im rot-grünen Spektrum. Sie wird weiter zwischen verdeckter großer Koalition, hilflosem Lamentieren über die „Politik der sozialen Kälte“ und zaghaften Reformübungen lavieren.

Die nächste Bundestagswahl wird von denen gewonnen, die am überzeugendsten vorschlagen, was sich ändern muß, ohne die Risikobereitschaft der Bevölkerung zu überfordern. Die Bündnisgrünen können die treibende Rolle in diesem Wettbewerb spielen – aber nur, wenn sie ihre politische Eigenständigkeit stärken. Das schließt Koalitionen mit der SPD nicht aus, wenn Wahlergebnisse und politische Gemeinsamkeiten sie hergeben. Aber rot-grüne Mehrheiten entstehen nicht aus einer Links-links-Allianz. Sie haben nur eine Chance, wenn die Grünen im Rücken aller demokratischen Parteien auftauchen und die ökologischen, linksliberalen, sozialreformerischen und weltoffenen Kräfte in allen gesellschaftlichen Milieus anziehen. Es könnte sein, daß die Auseinandersetzung zwischen Grün und FDP über die Mehrheiten im nächsten Bundestag entscheidet: Es geht um die Richtung, in der sich die Bundesrepublik ändern muß, um zukunftsfähig zu werden.

taz vom 27. 3. 1996. Der Autor, damals Fraktionssprecher der Grünen in Bremen, ist heute Vorstand der grünen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.