Bangen um die Freunde in Minsk

Mit Sorge blicken viele der 1.400 Weißrussen in Berlin auf die Ereignisse in Minsk. Einige engagieren sich hier für die Oppositionsbewegung: Mit einer CD mit zensierten Bands oder einer Website mit Infos über die aktuelle politische Lage

Wer wissen will, was gerade in Weißrussland passiert, sollte auf der Website www.belarusnews.de surfen. Das deutschsprachige Nachrichtenportal bietet eine aktuelle „Chronik von den Tagen nach der Wahl in Minsk“ und ein stark besuchtes „Belarus-Forum“, wo die Teilnehmer über die Zukunft des Landes diskutieren. Eingerichtet wurde die Seite von Maxime Grauchevoi. Vor acht Jahren flüchtete er mit seinen Eltern aus der weißrussischen Hauptstadt nach Berlin und studierte hier Politikwissenschaft. Es störte ihn, dass die deutschen Medien kaum etwas über sein Heimatland schrieben. „Für die meisten Deutschen war Weißrussland ein schwarzes Loch“, sagt er. „Das wollte ich ändern.“ Kurz nach der Flucht richtete er deshalb die Internetseite ein.

In den vergangenen Wochen hat Grauchevoi sehr intensiven Kontakt gehalten mit einigen der Demonstranten auf dem Oktoberplatz in Minsk. „Ich habe gerade mit meiner Freundin telefoniert, die dort vor Ort ist“, erzählt er. „Sie hat geweint.“ In den Sendungen des weißrussischen Fernsehens würden die Demonstranten angeschwärzt. „Sie sollen betrunkene Jugendliche sein und bezahlte oppositionelle Politiker, wird erzählt.“ Grauchevoi seufzt. „Ihre einzige Hoffnung ist, dass zumindest die westliche Medien richtig über die Situation informieren.“ Dafür will die Website einen Beitrag leisten.

In Berlin wohnen nach offiziellen Unterlagen des Einwohnermeldeamts etwa 1.400 Weißrussen. Politische Flüchtlinge, Studenten, Aupairs – und jene, die wegen der Liebe nach Deutschland gezogen sind. Viele verfolgen mit großem Interesse die Entwicklungen in Minsk. Am Wahlabend vor einer Woche kamen 350 Weißrussen und Weißrussland-Interessierte im Kulturzentrum Brotfabrik in Weißensee zusammen. Anlass war eine Solidaritätsparty unter dem Motto „Wir feiern! Wir wählen!“ Später am Abend wurde eine Umfrage unter Berliner Wählern veröffentlich, die von Studenten in der weißrussischen Botschaft erhoben worden waren. Ergebnis: 72 Prozent der Berliner Weißrussen haben für Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch gestimmt. Offizielle Ergebnisse für Berlin gibt es bisher nicht.

Einer der Organisatoren der „Belarus-Wahlparty“ war der deutsche Journalist Ingo Petz. „Es war ein Riesenerfolg“, sagt er. „Aber es gab auch Leute, die sich nicht getraut haben, zum Fest in die Brotfabrik zu kommen. Sie hatten Angst vor dem Regime.“

Seine Liebe für die ehemalige Sowjetrepublik begann, als er 1994 zum ersten Mal das Land besuchte. Er unterhält gute Kontakte mit der Underground-Musik-Szene in Minsk. Vergangene Woche brachte er das „Belarusian Red Book“ aus, eine CD mit zensierten und verbotenen weißrussischen Bands der Oppositionsbewegung. Einige seiner Freunden wurden vergangene Woche festgenommen bei Protesten auf dem Oktoberplatz, sagt er. „Das ist öfter passiert. Gewöhnlich werden sie nach einigen Tagen freigelassen und erhalten eine Geldbuße.“

Weißrussin Anna Anaker wohnt seit sechs Jahren in Berlin. Sie arbeitet als Journalistin bei Radio Multikulti. Dass die Weißrussen in Berlin mehrheitlich nicht Lukaschenko gewählt haben, hat sie nicht gewundert. „Wir leben in einem demokratischem Land. Hier sieht man die Sache anders als in Weißrussland.“ Wie viele andere ist Anaker sicher, dass beim Auszählen der Stimmen geschummelt wurde. „Minsk hat bestimmt nicht für Lukaschenko gestimmt. Aber ich glaube doch, dass er die Mehrheit der Stimmen bekommen hat. Persönlich finde ich das sehr schlimm.“

Auch Maxime Grauchevoi glaubt, dass es noch ein bisschen dauert, bevor die demokratische Revolution in Weißrussland da ist. „Es ist traurig, aber die Opposition hat noch nicht die kritische Masse erreicht.“ Wenn es so weit ist, sagt er, will er bestimmt in sein schönes Land zurückkehren. MICHIEL HULSHOF

brennpunkt SEITE 5Die CD „Belarusian Red Book“ ist unter www.ingopetz.de erhältlich