Schering flieht unter das Bayer-Kreuz

Um einer feindlichen Übernahme durch den Konkurrenten Merck zu entgehen, will sich der Berliner Konzern nun von Bayer kaufen lassen. Das bringt den Aktionären mehr Geld und den Verlust von 6.000 Arbeitsplätzen. Experten sind skeptisch

VON STEPHAN KOSCH

Der weiße Ritter kommt aus Leverkusen. Bayer kommt Schering im Abwehrkampf gegen eine feindliche Übernahme zu Hilfe – und will Schering selber schlucken. Dafür legt Bayer 16,3 Milliarden Euro auf den Tisch, knapp 2 Milliarden Euro mehr als der Darmstädter Konkurrent Merck geboten hatte. Der gab sich gestern geschlagen und Schering akzeptierte das Bayer-Angebot.

Wenn die Kartellwächter in Brüssel nicht noch Einspruch erheben, ist der Weg also frei für die größte Pharmafusion der deutschen Geschichte. Allerdings mit negativen Folgen für die Beschäftigten: In den kommenden sechs Jahren sollen 6.000 Stellen weltweit gestrichen werden, kündigte Bayer an. Das wäre etwa jeder zehnte Arbeitsplatz in dem neuen Konzern.

Bayer will mit der Übernahme und dem damit verbundenen Arbeitsplatzabbau 700 Millionen Euro pro Jahr einsparen. An welchen Standorten wie viel gekürzt wird, war gestern noch nicht klar. Bayer-Chef Werner Wenning versprach zwar einen „fairen und sozialverträglichen“ Umgang mit dem Personal, schloss aber betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Die Arbeitnehmervertreter bei Bayer seien aber dennoch für die Übernahme, sagte Wenning.

Auch in Berlin wird die Offerte positiv beurteilt. Schering-Chef Hubertus Erlen wollte eigentlich unabhängig bleiben. Vor dem Hintergrund des „äußerst attraktiven Angebots“ sei dem Vorstand aber klar geworden, dass dies nicht mehr möglich sei, sagte Erlen gestern. Deshalb unterstützt die Schering-Führung das Angebot, über die Annahme wird der Aufsichtsrat in Kürze entscheiden.

Die Schering-Manager haben nach dem als feindlich eingestuften Angebot von Merck den Kontakt mit Bayer gesucht und bei den Verhandlungen zwei Trümpfe für Schering herausgeholt: Ein verbessertes Angebot für die Aktionäre, die von Bayer 86 Euro in bar für jedes Papier bekommen sollen. Außerdem wird die Pharmasparte des neuen Unternehmens zukünftig von Berlin aus gesteuert.

Das Bayer-Angebot sorgte entsprechend für positive Resonanz in der Berliner Landesregierung. Auch Aktionärsschützer lobten die Offerte, vor allem weil sie bei beiden Unternehmen für steigende Aktienkurse sorgte. Doch es gab auch kritische Analystenstimmen. Die Übernahme sei primär auf Größe ausgerichtet, sagten die Experten der Bank UBS. Jenseits der geplanten Kosteneinsparungen passten beide kaum zusammen.

In der Tat: Schering verdient sein Geld vor allem mit wenigen, aber sehr teuren Spezialmedikamenten und Hormonpräparaten. Bayer wollte nach dem Skandal um den Cholesterinsenker Lipobay vor einigen Jahren seine Pharmasparte hingegen komplett loswerden. Weil sich aber kein Käufer fand, baute Wenning um und will Bayer zum weltweit größten Produzenten von rezeptfreien Medikamenten machen.

Für die Patienten bringe der Zusammenschluss keine Vorteile, meint auch Wolfgang Becker-Brüser vom unabhängigen Informationsdienst Arznei-Telegramm: „Der Sinn ist nicht, bessere oder sinnvollere Arzneimittel herzustellen.“ Bei der Fusion von Pharmakonzernen gehe es vielmehr darum, Forschungsbereiche zusammenzulegen und so Geld zu sparen. Er rechnet damit, dass bei dem neuen Konzern Bayer-Schering-Pharma durch die gewünschten Millionen-Einsparungen unter dem Strich weniger Geld für die Forschung zur Verfügung steht. Die großen Pharmakonzerne gäben heute bereits zweimal mehr für Marketing aus als für Forschung und Entwicklung.

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