Für Umwelt, Frieden und Moral

AUS FILDERSTADT HEIDE PLATEN

Die Sportgaststätte „Halbzeit“ in Filderstadt südlich von Stuttgart ist mit Girlanden geschmückt. Die Parteifunktionäre pusten Gas in Luftballons, stupsen sie unter die Decke des kargen Saals. Die Werbemittel der baden-württembergischen Wahlinitiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) für die Landtagswahl am Sonntag sind begrenzt. 250 Euro bekommt jeder Wahlkreis aus der Parteikasse.

Landtagskandidat Thomas Mitsch aus Nürtingen ist ein bisschen aufgeregt. Parteiprominenz hat sich angesagt: die Bundestagsabgeordnete Petra Pau, ihr Kollege Diether Dehm samt Gitarre, WASG-Bundesvorstand Klaus Ernst. „Wie bitte?“, fragt Mitsch irritiert, nur 11 der 70 WASG-Bewerber um ein Landtagsmandat sind weiblich? Das mag er erst gar nicht glauben. Wenn aber doch, dann „ist das einfach furchtbar“. Dann empfiehlt er die Frauen auf der Landesliste, als zähle jede von ihnen dreifach: die viel beschäftigte Bürokauffrau Gudrun Kuch aus Mannheim etwa, die weitgereiste Stuttgarter Entwicklungssoziologen Annette Groth. Und eine der „ganz starken Frauen“: Brigitte Ostmeyer, 54, Wahlkreis Böblingen, Erkennungszeichen „ein Fahrradhelm“.

Im Internet wirbt Brigitte Ostmeyer für sich mit schweren Themen: Sie möchte Volks- und Bürgerentscheide ausgebaut sehen, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen nicht nur auf dem Papier durchsetzen, die Militarisierung der Außenpolitik stoppen und Friedens- und Ökologiepolitik zusammenbringen. Ihr Foto zeigt ein herbes Gesicht, keine Retusche, tiefe Falten an den Mundwinkeln. Sie sei, hatte sie gesagt, leicht zu erkennen.

Allein unter Männern – das kennt sie aus dem Studium

Zwar trägt sie den Fahrradhelm unter dem Arm, das Bild aber sieht ihr nur entfernt ähnlich. Sie könnte eine Tänzerin sein, schmal, enges, schwarzes T-Shirt unter der dunkelroten Weste, langer, schlanker Hals, ausdrucksstarke, kleine Gesten mit energischen Händen.

Brigitte Ostmeyer ist eine von den Frauen, denen es schwer fällt, sich gut zu verkaufen. Nichts, sagt sie, sei „nur schwarz oder weiß“. Sie ist mit drei Geschwistern in Baden-Württemberg aufgewachsen. Der Vater war Postbeamter, ihre Mutter Hausfrau. Nach der Realschule wurde sie bei IBM in Böblingen Technische Assistentin, ein damals neuer, für Mädchen unüblicher Beruf: „Ein bisschen EDV, technisches Zeichnen, Mechanik.“ Sie wollte weiterkommen, erwarb die Fachhochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg und studierte in Berlin und Esslingen Informatik. In den ersten Semestern waren 3 von 30 Studenten Frauen, am Ende war sie allein: „Ich glaube, das ist bis heute nicht sehr viel besser geworden.“ Dass die WASG-Landesliste mit 11:59 Listenplätzen auch nicht gerade geschlechterparitätisch besetzt ist, weiß sie. Das müsse anders werden. Aber sie ist loyal, sie hat nachgezählt: „Wir haben nur eine Frau weniger als die CDU.“

Brigitte Ostmeyer stapelt gern tief, das Interesse an ihr findet sie „überraschend“. Sie setzt sich eher auf beharrliche Weise durch. Bei IBM arbeitete sie sich zur gut dotierten Software-Entwicklerin hoch, ging 1987 drei Jahre lang für die Firma in die USA, zuerst an die Ostküste. Das sei „sehr abenteuerlich gewesen“, nicht wegen der hohen Anforderungen, sondern weil Rad fahren dort nicht gerade „ein Vergnügen“ gewesen sei. Dann aber kam sie nach Palo Alto in Kalifornien. Dort fühlte sie sich wohl, die Sonne, das Meer gefielen ihr. Sie überlegte zu bleiben. Aber sie lernte auch die harte Seite der USA kennen. Es gebe dort zwar eine „prima Alternativkultur“, aber eben auch harte Arbeitsbedingungen ohne Urlaubsanspruch, Kündigungsschutz und Altersversorgung. Kein Arbeitsplatz sei sicher. Vorsichtige Fragen nach dem Warum habe ihr US-amerikanischer Chef damals knapp abgebügelt: „Because this is not Germany!“ Das habe sie, trotz „paradiesischer Umgebung“, trotz Sonne und Meer bewogen, wieder nach Deutschland zurückzukehren: „Diese Unsicherheit, in der die Menschen dort leben müssen, ist unerträglich.“ Und: „Wer sich hier amerikanische Verhältnisse wünscht, weiß nicht, was er sagt!“

Eigentlich sei sie als Studentin „ganz brav und unpolitisch“ gewesen. Ihre Politisierung war ein langsamer, aber gründlicher Prozess. Mit der Studentenrevolte der 68er-Jahre und dem Feminismus hat sie sympathisiert, aber als Lehrling und Studentin keine Berührungspunkte gehabt. Während Lehre und Studium war sie ihrer Zeit voraus, sie interessierte sich für ein damals nur am Rande wahrgenommenes Gebiet: die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, dann für das Funktionieren der Weltwirtschaft, das verhängnisvolle Zusammenspiel von Ökonomie, Wachstumsideologie und Ressourcenknappheit. Sie engagierte sich – „ein später Einstieg“ – in der Friedens- und Ökologiebewegung, wurde IG-Metall-Mitglied und 1993 Betriebsrätin bei IBM Böblingen. „Weil ich gelernt hatte, dass nur eine starke Arbeitnehmervertretung die Willkür abschwächt.“

1997 trat sie bei den Grünen ein: „Petra Kelly und Jürgen Trittin hatten mich schon früher beeindruckt.“ Außerdem habe sie damals die viel gescholtene Initiative für höhere Benzinpreise, fünf Mark pro Liter, überzeugt. Als Ortsverbandssprecherin habe sie diese Forderung auch vertreten und sei dafür im Autoland Baden-Württemberg „fast gelyncht worden“.

Luxus heißt für sie: selbst zu bestimmen, wie sie den Tag füllt

Über sich selbst zu erzählen, ist Brigitte Ostmeyer nicht gewohnt. Sie bleibt streng beim politischen Lebenslauf. Als grüne Landesdelegierte habe sie, betont sie, nie ein Mandat angestrebt. Sie sei damals überzeugte „Fundi-Frau“ gewesen. Dann aber hätten die Grünen sich verändert: „Zuerst waren die Mehrheitsverhältnisse ausgeglichen, dann sind wir immer weniger geworden.“ Die Positionen zu umweltfreundlichen Nahverkehrskonzepten seien „total verwässert“, der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo „mit Betroffenheitsrhetorik“ durchgesetzt worden: „Das war das Gegenteil von Real-, das war Moralpolitik.“ 2001 ist sie „ganz unauffällig“ wieder ausgetreten.

Die Ökologie ist bis heute eines ihrer wichtigsten Themen. Sie ging zu Attac und trat sofort nach deren Gründung in die WASG ein. Dort habe sie dann viele ehemalige Grüne wiedergetroffen. Die Zahl arbeitsloser Akademiker in der WASG sei in ihrem Wahlkreis hoch, aber es gebe, im Gegensatz zu den Grünen, „unterdurchschnittlich wenige Lehrer“, überhaupt wenige Beamte. Allerdings seien in der WASG auch weniger Frauen aktiv, zumal in der Region viele in Schicht arbeiten müssen. Deretwegen seien die Kreisversammlungen auf Samstagnachmittag verlegt worden.

Dennoch, die Frauen, so Ostmeyer, hätten in der Partei einen schweren Stand: „Das wird noch ein hartes Brot.“ Gerade für ältere, ehemalige SPDler und für Gewerkschafter seien Parität und Quotierung noch Fremdworte. Die Quote stehe zwar in der Satzung, aber die Diskussionen darüber erinnern sie „stark an die Anfänge der Grünen“.

Dafür gebe es hier im Südwesten nicht den Streit um die Fusion der WASG mit der PDS zur Linkspartei. „Die meisten hier sind 100-prozentige Befürworter des Zusammenschlusses.“ Und wie hielte sie als Fundamentalistin es mit einer Regierungsbeteilung ihrer Partei? „Nur wenn man etwas bewirken kann und sein eigenes Programm nicht verraten muss.“ Das aber steht in Baden-Württemberg wohl ohnehin nicht zur Debatte. Dass die WASG über 5 Prozent der Stimmen bekommt, ist unwahrscheinlich.

Brigitte Ostmeyer versucht, ihre Ziele zu leben. Sie wohnt in einem kleinen Dorf, verzichtet aber trotzdem auf ein Auto. Ein Carsharing-Projekt, bei dem sie sich finanziell engagiert hatte, scheiterte im Autoland Baden-Württemberg als „totaler Flop“. Aber es müsse doch, meint sie, möglich sein, dass die Vernunft obsiege und „wir endlich wirklich nach Alternativen zu unserem ressourcenfressenden Lebensstil suchen“. 1992 hat sie noch einmal „ein spätes Studium aus Neigung“ an der Fernuniversität Hagen begonnen, Politik, Soziologie und Rechtswissenschaft. Ende 2005 hat sie ihre Stelle bei IBM gekündigt und arbeitet freiberuflich als Politologin über Globalisierung und Geschlechterpolitik: „Ich kann mir den Luxus leisten, selbst zu bestimmen, was ich machen will.“ Und da gebe es „haufenweise zu tun“. Ihre Wochen bis zur Wahl waren mit Terminen vollgepackt. Kurz vor 19 Uhr kommt die WASG-Parteiprominenz. Brigitte Ostmeyer gehört nicht dazu. Sie sitzt im Publikum, bestellt Rotwein und Weißbrot, applaudiert und trägt am Ende ihr Geschirr selber zurück ins Restaurant.