Hayriye Superstar bei Bellevue unplugged

Alle lieben Hayriye Aydin, die abschiebebedrohte 17-Jährige, auch der Bundespräsident. Ob es ihr nützt?

BERLIN taz ■ Der Star des Abends kommt kurz vor acht. Im Gedränge der Fotografen lächelt Hayriye Aydin tapfer, eingehakt bei ihrer Freundin Merve. Die beiden schreiten durch die Flure von Schloss Bellevue, sie wirken wie umjubelte Actricen bei Filmfestspielen. Aber die 17-jährige Kurdin Hayriye ist wegen ihres Engagements gegen Antisemitismus beim Bundespräsidenten auf Schloss Bellevue eingeladen. Gleichzeitig droht ihrer Familie und auch ihr selbst die Abschiebung durch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD).

Wie will sie für ihre Familie kämpfen? Sie verbessert: „Nicht nur für meine Familie, für alle. Es gibt viele, denen es so geht wie uns.“ Hayriye und Merve setzen sich auf Barhocker weit ab von der Bühne. Die Presse stürzt heran. „Wie geht es dir?“ – „Das ist natürlich alles voll anstrengend“, sagt sie und hält sich die Hand vor den Mund, weil ihr vor Schreck der Kaugummi herauszufallen droht. Die Kamerameute bleibt den ganzen Abend in der Nähe. Reporter verfolgen sie, wenn sie zur Toilette gehen.

200 Jugendliche hat Horst Köhler zu „Bellevue unplugged“ eingeladen, viele engagieren sich ehrenamtlich, andere haben bei Wettbewerben erste Preise gewonnen. Wenn Köhler durchs Publikum geht, schießen sie Fotos mit ihren Handykameras. Ein Junge geht auf Hayriye zu. Er trägt ein T-Shirt, auf dem ein Eisbär brüllt. „Und du, bist du die Hauptdarstellerin?“, fragt er. Hayriye schildert kurz ihren Fall. Der Junge nickt. „Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend“, sagt er. Und geht.

Der Eisbärjunge bleibt der Einzige, der Hayriye anspricht. Wäre es nicht auch ziviles Engagement, sich an so einem Abend für eine von Abschiebung bedrohte Familie einzusetzen? Hayriye und Merve bleiben allein, wenn sie nicht gerade wieder Interviews geben müssen.

Auch auf der Bühne erwähnen weder Bands noch Moderatoren die Aydins. „Juli“ spielen als letzte der vier Bands, ein paar Jugendliche tanzen, das Ehepaar Köhler mischt sich zwischen sie, tanzen zwei Lieder mit, im Blitzlichtgewitter. Hayriye steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Gleich wird sie ihn sprechen, den Präsidenten.

Es werden ein paar Minuten an einem Stehtisch im Foyer, umringt von Sicherheitsleuten und Presse. „Ich habe viel von Ihnen gelesen“, sagt Köhler und lächelt. Hayriye lächelt höflich zurück, zeigt dem Staatsmann die Broschüre ihrer Initiative gegen Antisemitismus. Horst Köhler lächelt unverdrossen weiter, versprechen wird er nichts. Ehrhart Körting habe er als „sehr seriösen Politiker kennen gelernt“, ein „Unhold“ sei Berlins SPD-Innensenator nicht. „Wichtig ist Respekt“, sagt Köhler, doch „ein Rechtsstaat ist ein Rechtsstaat“. Das ist Körtings Argument: Weil Hayriyes Vater vor 17 Jahren bei seinem Asylantrag log, soll die Familie nun gehen.

Horst Köhler gleitet Hayriye zum Büfett, die Türen schließen sich für ein paar Minuten. „Er wird sich mit dem Thema sehr intensiv beschäftigen“, hofft Hayriye, „das hat er gesagt.“ Die Medien haben Hayriye zur Außenministerin ihrer Familie gemacht. An ihrer Schule ist sie Streitschlichterin. Jetzt kann sie auch Staatsbesuche.

JAN-PHILLIP STERNBERG