DISKUSSION ÜBER DIE EXTREMISMUSSTATISTIK
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Wie politische Gewalt werten?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière legte vergangene Woche seine Jahresbilanz 2009 der politisch motivierten Straftaten vor: Die Zahl linker Gewalttaten sei laut Erfassung der Kriminalämter um 53 Prozent auf 1.822 gestiegen – vor allem durch Angriffe auf Rechtsextreme und Widerstand gegen Polizeibeamte bei Demonstrationen. Die Rechtsextremen liegen aber immer noch vorne bei Körperverletzungen und Schmierereien. Seitdem diskutieren Leser über die Rechtmäßigkeit solcher Vergleiche von links- und rechtsextrem, vor allem auf taz.de geht es hoch her.

Geschockt über Rechtsruck

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Ich bin geschockt über den Rechtsruck in unserem Land und die Verharmlosung rechtsradikaler Gewalt. Seit der Wende bin ich mit meinem afrikanischstämmigen Ehemann und Kindern noch nie im Osten Deutschlands gewesen. Warum auch? Um mich von Glatzköpfen mit Springerstiefeln beim Wandern in Mecklenburg-Vorpommern angreifen zu lassen? Und ich gehöre nicht zu den einzigen binationalen Familien, die sich in ihrem eigenen Land nicht frei bewegen können, weil rechte Schläger bestimmte Gebiete zu „ausländerfreien Zonen“ erklärt haben. Für mich ist es der blanke Hohn, jetzt den Focus auf die Bekämpfung linker Gruppen zu richten. von ella

Eine Ablenkungsdebatte

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Gewaltanwendung ist immer verwerflich und muss in unserer Gesellschaft sanktioniert werden. Dies allerdings bemessen anhand der Schwere der Tat und nicht des ideologischen Hintergrunds des Täters. Tatsache ist, dass rechte Gewalt seit der Wende bereits 149 Todesopfer gefordert hat und unzählige Verletzte. Die rechtsextreme Ideologie ist daher ungleich gefährlicher, da unverhohlen menschenverachtend. Darüber hinaus schaden die Rechten dem Ansehen unseres Landes tausendmal mehr als ein paar linke Chaoten, die versuchen, ihre revolutionäre Gesinnung mit dem Abfackeln von Autos unter Beweis zu stellen. Die Debatte, die unser Innenminister angezettelt hat, ist eine Scheindebatte und lenkt vom Kern des Problems ab, nämlich dass sich rechtsextreme Ideen in manchen Teilen unserer Republik bereits bis in die bürgerlichen Schichten gefressen haben. von Bürger G.

Gewalt ist Gewalt

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Folgendes Zitat regt mich auf: „Und natürlich klar: Rechte mit linker Gewalt gleichzusetzen ist so bodenlos, dass man sich eigentlich wundern müsste über die Dreistigkeit, mit der hier Tote und Verletzte gegen Sachschaden verrechnet werden, der Holocaust mal eben untern Tisch fallengelassen wird – Dank an das gegenwärtige Regime der BRD für diese Selbstentblößung.“

Sorry, das ist einfach nur noch infam. Gewalt ist Gewalt, ob von links oder von rechts, ob gegen Sachen oder Personen (denen die Sachen ja gelegentlich gehören dürften). Insofern ist jede Gleichsetzung völlig in Ordnung, oder gibt es Ihrer Meinung nach gute Gewalt, weil zum Beispiel von links? Oder ist Gewalt gegen Sachen in Ordnung, weil ja keine Menschen misshandelt werden, nur deren Geldbeutel getroffen wird? Schon mal auf die Idee gekommen, dass Gewalt gänzlich unangebracht ist? von Mauermer

Ahnungslose PolitikerInnen

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Es sind immer dieselben, die den Rechtsextremismus verharmlosen und ihm Tür und Tor öffnen. Was soll das heißen, wenn ahnungslose PolitikerInnen zu der Feststellung gelangen, es gäbe vor allem in Großstädten linke Rückzugsräume? Werden jetzt linksalternative Viertel noch härter gegängelt? Das Grundproblem ist doch, dass viele PolitikerInnen gar keine Ahnung haben, wo die Grenze zwischen gewaltbereiten Linken und „normalen“ linken AktivistInnen verlaufen soll. Es wird alles in einen Topf „politisch motivierte linksextremistische Gewalt“ geworfen und mal schön umgerührt. Zum Beispiel eine Straßenblockade gegen einen Naziaufzug kann zur Anklage wegen diversen Strafdelikten führen, die sich für Otto NormalverbraucherIn nach Gewalt anhören. von K.O.

Staatliche Gewalt ist normal

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gewalt ist schlecht … das ist so ein ungemein zutreffender allgemeinplatz, dass man meint, dem müsste doch jeder zustimmen. und weil gewalt immer schlecht ist, ist es auch egal, wer sie gegen wen ausübt. so weit die gängige wenigdenker-argumentationsmethode. aber natürlich bezieht sich das nur auf rechte und linke gruppen und natürlich nur auf kriminelle gewalt. oder ist gewalt auch falsch, wenn sie der hauseigentümer zur räumung des hauses einsetzt, gegen die personen, die dort seit jahren wohnen? oder wenn sie der staat einsetzt gegen den ausländer, der den staat verlassen soll, obwohl ihm dabei diverse übel drohen? dann ist gewalt ganz normal, weil doch das eigentum geschützt werden muss, zur not auch mit gewalt, und weil doch der unliebsame ausländer abgeschoben werden muss, zur not auch mit gewalt, denn eigentum und der schutz des staates gegen unliebsame ausländer sind doch nun mal wichtig. und deshalb steht auch im gesetz, dass in diesen fällen gewalt eingesetzt werden darf. und schon sind wir weg von „gewalt ist immer schlecht“ und müssen uns über rechtmäßige gewalt und rechtswidrige gewalt gedanken machen. und da sich ein teil der gewalt eben gegen die anerkennung der rechtsordnung richtet (widerstand gegen vollstreckungsbeamte), müssen wir uns überlegen, ob wir die rechtsordnung als einzigen parameter für die bewertung von gewalt zulassen wollen. wenn ja, sind wir im rechtspositivismus, und alles, was im gesetz steht, ist in ordnung und zu befolgen, unabhängig davon, ob es gut oder schlecht ist. die debatte über gewalt ist so alt, wie komplex, und das gedöns von „rechter und linker gewalt“, die natürlich „immer falsch“ ist, hat so wenig inhalt, dass das jede oberschulklasse in einer unterrichtsstunde durchschauen würde. von max