Sehnsucht nach Begreifbarem

PFLANZEN Ein Garten macht viel Arbeit. Warum wir ihn trotzdem brauchen

Die Schriftstellerin: Über dreißig Bücher hat die 1941 in Altausee in Österreich geborene Barbara Frischmuth geschrieben. Romane, Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher, Hörspiele, Theaterstücke, das ganze Repertoire. Jahrelang hat sie in Wien gelebt, bevor sie zurück aufs Land gezogen ist.

■ Der Garten: Lange lebte Frischmuth in Wien. Erst vor zwanzig Jahren zog sie in ihren Geburtsort zurück und legte einen Garten an. Darüber hat sie drei sehr persönliche Bücher geschrieben. „Fingerkraut und Feenhandschuh“, „Löwenmaul und Irisschwert“ und „Marder, Rose, Fink und Laus“ heißen sie. Allesamt sind es literarische Gartentagebücher, die das Auf-Du-und-Du zwischen ihr und dem Garten besingen. Der Wermutstropfen aus literarischer Sicht: Die Gartenbücher verkaufen sich besser als ihre Romane. Warum? In ihren literarischen Büchern hat sie ein Faible fürs Experimentelle. In ihren Gartenbüchern dagegen ist ihre Sprache weich und konkreter.

■ Das neue Buch: Soeben ist Frischmuths neues Buch erschienen: „Die Kuh, der Bock, seine Geiß und ihr Liebhaber“. Darin verwebt sie auf sehr eigenwillige Weise Menschen mit Tieren, Fabeln mit Gerichtsreportagen, tierische Nachrichten mit menschlichen Kommentaren, Affenliebe mit Katzenjammer, Pferdearsch mit Schwanenseen. Foto: Frischmuth

VON BARBARA FRISCHMUTH

Warum tu ich mir das alles noch immer an? Das Auspacken nach dem Schnee und das Einräumen vor dem Schnee. Einräumen klingt viel zu harmlos. Das Zusammenbinden der Büsche und Sträucher, dieses Ausschneiden, Einschneiden und Umschneiden, das Ausgraben und In-den-Keller-schaffen, dieses Jäten der Beete, das Auftragen des Komposts, das Mulchen mit Baumfaser und was dergleichen mehr ist an Arm- und Beinarbeit. Lauter Herbstgedanken, der Kater nach dem Rausch, das Saubermachen nach der aus dem Ruder gelaufenen Party.

Im Frühjahr sind so gut wie alle Vorsätze des Beschränkens, des Zurückfahrens und Vereinfachens über Bord. Sobald die übellaunigen Frostgeister sich auf den nächsten Gletscher zurückgezogen haben, stehen die Fensterbretter voller Sämlinge, werden die Bestellungen abgeschickt und die hartnäckigste Frage ist und bleibt: Wohin mit all dem, auf das man wieder einmal nicht verzichten mag, nicht weil man verschiedene Sammlungen unbedingt komplettieren möchte – wann könnte eine Sammlung von Pflanzen je komplett sein? –, aber es braucht eben noch ein, zwei Lilien, eine neue Astrantie (Sterndolde), mindestens ein Geranium (Storchschnabel), das noch nicht jeder hat, natürlich ein, zwei neue Gräser mit langen Grannen und so weiter. Was wäre noch wo unterzubringen? Die allgemeine Frage aber lautet: Warum überhaupt ein Garten? Gibt es nicht genug zu lesen? So viele Bilder, die ich mir anschauen möchte. Filme, die ich unbedingt sehen will. Reisen in echt oder im Internet. Warum also in den Garten, und das so gut wie täglich die nächsten sechs, sieben Monate hindurch?

Reales als Gegensatz zum Virtuellen

Vielleicht ist es die Sehnsucht nach dem Konkreten im Gegensatz zum Abstrakten, auf das unsere Wahrnehmung sich zunehmend einstellen muss, nach dem Realen im Gegensatz zum Virtuellen, das unsere Aufmerksamkeit immer mehr in Anspruch nimmt, nach dem noch mit unseren ureigenen Sinnen Begreifbaren im Gegensatz zur medial vermittelten Information, zu der uns längst der Durchblick abhanden gekommen ist.

Aber brauchen wir nicht einfach den Raum für unser Erleben, einen nicht durch einen Bildschirm flachgedrückten Raum, der nach nichts riecht, nach nichts schmeckt und sich eben wie Kunststoff anfühlt? Wohingegen der Garten unsere Nasen, Zungen und Finger mit immer neuen Abenteuern konfrontiert.

Ein Garten ist voller Geheimnisse, sagen die Kenner. Das stimmt. Man bleibt ihnen auf der Spur, selbst wenn man sie nicht immer und nicht jedes einzelne ergründen kann. Aber man erkennt sie, wenn man ihnen begegnet. Und was wäre ein Garten ohne Geheimnisse … Welcher Art? Ich nenne ein unspektakuläres: Jene Krötenlilie, die wider Erwarten in der prallen Sonne gedeiht. Behagt ihr die Umgebung? Profitiert sie von ihren Nachbarn? Oder reagiert sie evolutionär, indem sie versucht, möglichst gut mit dem Übermaß an Licht und Sonne zurechtzukommen?

Auch wenn man seinem Garten in vieler Hinsicht freie Hand und genauso oft seinen Willen lässt, trifft man immer noch eine Reihe von Entscheidungen. Was, wohin und mit wem? Wie viel Wasser, wie viel Kompost, wie viel Freiraum? Schafft man einer Pflanze Luft, indem man andere ausreißt, hält man ihr Fressfeinde vom Leib oder stützt man sie, weil man ihr nicht zutraut, gegen den Wind zu stehen?

Die Freude am Gelingen und Gedeihen

Die Befriedigung, etwas richtig gemacht zu haben, auch wenn man dabei vielleicht gar nicht so viel getan, sondern eher zugelassen hat, erzeugt ein Gefühl des Beteiligtseins. Man ist zwar nicht Hauptakteur, schließlich wächst man nicht im Garten, aber irgendwie ist man am Gedeihen beteiligt. Natürlich auch an den Katastrophen. Man kann etwas dazutun und etwas dagegen, aber man ist weder allgegenwärtig noch allbestimmend. Ein gutes Gefühl, das einen nicht von vornherein überfordert oder in Allmachtsfantasien entlässt. Mit der Zeit entdeckt man an sich Fähigkeiten, von denen man zuvor nicht einmal fantasiert hat. Denn zuvor war nur die Vorstellung. Und die Vorstellung, die nicht von Erfahrung gestützt ist, bleibt ziemlich klischeehaft.

Solange wir uns einen Garten nur vorstellen, spielen wir mit dem, was wir irgendwo gesehen haben oder was unserer Vorliebe für bestimmte Farben, Gerüche, Texturen und Formen entspricht. Doch diese Vorstellung wird uns kaum je damit konfrontieren, dass man winzige Sämlinge, die man ausgerupft hat, am Geruch erkennt oder die Fertigkeit erlangt, Lilienhähnchen zu zerquetschen, bevor sie sich fallen lassen, um sich im Erdboden zu verkrümeln.

Der Garten macht aus uns weder bessere noch intelligentere Menschen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob gesündere. Einerseits ist er gut gegen Osteoporose (die viele Bewegung bei kräftiger Sonneneinstrahlung), andererseits nutzen sich beim Arbeiten die Gelenke ab. Ich getraue mich nicht zu entscheiden, womit man im Alter besser dran ist. Was der Garten vermittelt, ist Gelassenheit gekoppelt mit Geduld, die mich immer schwer angekommen ist. Und so mancherlei Befriedigung. Denn der Garten ist eine Art Handwerk, das man erlernen kann, wenn man aufmerksam genug ist. Und wenn man sein Handwerk versteht – ich wage dies für mich kaum in Anspruch zu nehmen –, lernt man auch die Freuden des Gelingens kennen, zu dem man beigetragen hat, wohlgemerkt.