Treffen sich zwei Teilchen

PHYSIK Historischer Durchbruch am Europäischen Kernforschungszentrum CERN: Protonen mit bisher unerreichter Energie aufeinandergeschossen

VON REINER METZGER

Warum, beim lieben Einstein, nehmen denn alle diese Urknall-Maschine rund um Genf so wichtig? Weil dieser Teilchenbeschleuniger die größte Maschine ist, die die Menschheit jemals gebaut hat. Der Turmbau zu Babel ist ja schließlich nie vollendet worden. Und weil uns die rasenden Teilchen dem Urknall, also dem Schöpfungsmoment, nahe bringen. Das wird klären, ob die Physiker mit ihren Weltmodellen auf der richtigen Spur sind.

Aus der Großforschungseinrichtung CERN erreichen uns Bilder des Optimismus, der Machbarkeit – wie aus Science-Fiction-Romanen der 60er- und 70er-Jahre: Mehr als 1.200 Magneten reihen sich aneinander, jeder so groß wie ein Beiboot bei „Star Wars“ und heruntergekühlt auf minus 270 Grad. Sie bilden einen 27 Kilometer langen Ring. Innen im Ring rasen Teilchen aufeinander zu. Die sind fast so schnell wie das Licht, in einer Sekunde kreisen sie den Ring 11.000-mal ab. An zwei Stellen stehen wohnblockgroße Messmaschinen mit jeweils 2.000 Forschern dahinter. Dort werden die Teilchen aufeinandergeschossen, die zerplatzenden Fragmente aufgezeichnet und über Monate hinweg analysiert.

Es ist einfach toll, dass so eine verrückte Maschine überhaupt zum Laufen kommt. Ohne dieses Ding hätte man die Teilchenphysik weitgehend zumachen können, wäre es bei der theoretischen Physik so langweilig geblieben, wie es die vergangenen Jahre war. Niemand verbindet mit diesem Teilchenbeschleuniger auch nur einen Gedanken an Profit, und trotzdem wurden Milliarden Euro in ihn versenkt. Nur der Wissenschaft wegen. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zivilisation – auch wenn sich mancher gewiss noch dringendere Ausgaben für diese Zivilisation vorstellen kann.

Was bringt der große Hadronenteilchen-Zusammenpraller für die Wissenschaft genau? Er erschließt Bereiche mit einer 3,5-mal höheren Energie als bisher zugänglich. Bis auf weniger als eine millionstel Sekunde will man sich mit ihm an den Urknallmoment heranrobben. So kurz nach dem Urknall war die Welt noch nicht so geordnet wie jetzt, wie in einem x-dimensionalen Dampfkochtopf war die Welt noch nicht in langweilige Materie und Licht kondensiert. Bei Temperaturen von Billionen Grad kann man Teilchen sehen, die bei niedrigeren Energien längst mit anderen verschmolzen sind. Es ist wie bei Galileos neuem Fernrohr: Er konnte damit bis zum Jupiter sehen, erkannte dessen Monde – und dass nicht alles um die Erde kreist. War doch ein Fortschritt, oder?

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