Outsourcen des Privaten

AUSLAGERUNGSKULTUR Vom „Bruder-Verleih“ zum „Intimberater“, der Dienstleistungsmarkt dringt in immer mehr persönliche Bereiche vor. Ein kurze Geschichte der Spezialisierung und ihrer Folgen

Je unmenschlicher das System, desto mehr wird darin gemenschelt

VON HELMUT HÖGE

Nach dem betrieblichen „Outsourcen“, das heißt der Vergabe von immer mehr Arbeitsbereichen und Funktionen eines Unternehmens an andere Firmen (vor allem im Dienstleistungsbereich), kommt es nun auch vermehrt zum Outsourcen privater Bereiche – über das Wohnungsputzen, Essenkochen, Wäschewaschen und die Kinderbetreuung hinaus. Schon gibt es professionelle Hundeausführer, Hochzeitsplaner, Eventbegleiter und Büchervorleser.

In Das Argument 285 berichtet die US-Soziologin Arlie Russell Hochschild noch über ganz andere Dienstleister: „Vater-Verleih“, „Bruder-Verleih“ und „Rent a Mama“ zum Beispiel. Darüberhinaus listet sie all jene Selbständigen auf, die „spezielle Nischenbedürfnisse erfüllen“ – wie Speed-Dating, Evaluation der Elternrolle, Erstellung von Familienalben, Geburtstagsfeiern ausrichten und Partyunterhaltung.

Die Soziologen sprechen inzwischen von einer regelrechten „Auslagerungskultur“. Die vielbeschäftigte Unternehmensberaterin Chris Watson zum Beispiel überlässt Dienstleistern sogar das „Ausfinden von aussichtsreichen Dates“ – sie meint: „Mich in Clubs oder Partys unter die Leute zu mischen, ist keine besonders sinnvolle Nutzung meiner sehr begrenzten Zeit für Soziales.“ Der US-Studie „Outsourcing. Having it all but not doing it all“ zufolge wendet Chris Watson „ein Prinzip auf sich an, das auch in der Wirtschaft gilt: Spezialisierung und komparativer Kostenvorteil“.

Atomisierte Gesellschaft

Im Grunde hat dazu bereits der „erste Ökonom der Geschichte“, Adam Smith, alles gesagt: Er begriff den Zerfall der Gesellschaft als zwingend aus der kapitalistischen „Arbeitsteilung“ resultierend, weil sich dadurch die Erfahrungen der Männer separiere – und ihre Gespräche sich nicht mehr auf „dieselbe Wirklichkeit“ beziehen könnten. Damit verlernen sie, ihren Verstand zu gebrauchen.

Das gilt nicht nur für den Handarbeiter, sondern auch für den Kopfarbeiter und den Geschäftsmann: „Je beschränkter er ist“, so Smith, „desto besser funktioniert die Gesellschaft.“ Wirklich atomisiert wurde die Gesellschaft im heutigen Neoliberalismus, wie ihn Margret Thatcher realisiert sah: „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht, ich kenne nur Individuen, Männer und Frauen und Familien – und die denken alle zuerst an sich.“ Die Premierministerin äußerte dies 1987 in „Woman’s Own“. Damals galt laut Arlie Russell Hochschild bereits für die Mehrheit der angloamerikanischen Frauen, dass sie „in bezahlter Arbeit steckten“. Auch für sie trat an die Stelle der (unbezahlten) Arbeit am Sozialen und damit der Gesellschaft die „unsichtbare Hand“ des Marktes. Dort erst wird das Auslagern des Privaten aufgrund von immer mehr Dienstleistungsangeboten möglich.

Laut Arlie Russell Hochschild werden dadurch zugleich jede Menge „kulturelle Bilder und sprachliche Versatzstücke von irgendwo außerhalb in das Zuhause hineingebracht“. Das passiert, wenn man beispielsweise auf das Inserat „Ich könnte Ihnen ein wunderbares Kokos-Curry zubereiten“ oder „Ihre Briefe bzw. E-Mails an Freunde schreiben“ eingeht.

Überraschungen dürfte man auch erleben, wenn man jemanden ins Haus holt, der einem „das Ordnen von Kram und Papieren“ verspricht. Kurzum: der Markt dringt in immer mehr persönliche bzw. soziale Bereiche ein. Selbst in die linke Bewegung: so lassen Naturschützer Kommunikationsagenturen für sich mit Ständen werben und auch die Schlauchboot-Ninjas von Greenpeace sind bezahlte „Profis“.

Ödipalisierte Anbieter

Bei der Privatisierung von staatlichen Dienstleistungen wie Schulen, Krankenhäuser und öffentlicher Transport hat sich Karl Polanyis „Great Transformation“-These bereits bewahrheitet, dass sie die schlechtesten Schüler, die kränksten Patienten und gerade die Bedürftigsten zu Verlierern macht. Gleichzeitig wurden laut Jeremy Rifkin „historisch gewachsene Gemeinschaften und Nachbarschaften“ ersetzt durch eine „vorgespiegelte Kultur von Einkaufszentren und künstlichen Gemeinden“.

Auf der anderen Seite werden die Anbieter von persönlichen Dienstleistungen gegen Bezahlung familialisiert und damit ödipalisiert: Die Nanny wird mit auf Empfänge genommen, die Krankenpflegerin der alten Eltern wird zur Therapeutin der Kinder, der Hundeausführer zum Intimberater und die Putzfrau zur Stichwortgeberin (Renée Zucker machte aus ihrer polnischen Putzfrau die Stichwortgeberin für eine taz-Kolumne).

Einerseits bewirkte die Entwicklung der letzten dreißig Jahre also „eine stärkere Warenförmigkeit des Privatlebens“ und andererseits „leistet auch der (bezahlte) Stellvertreter letztlich emotionale Arbeit“, schreibt Arlie Russell Hochschild. In anderen Worten: Je unmenschlicher das System, desto mehr wird darin gemenschelt.

In Berlin wird es jedoch noch eine Weile dauern, bis man zum Beispiel Amüsierpöbel mieten kann, die all die bescheuerten Clubs, Discos, Popkonzerte, Premieren und Ausstellungen – z. B. „Working Mom“ (über Königin Luise) – für einen besuchen.