Konflikte unterm Kreuz

KIRCHLICHE WOHLFAHRT Landauf, landab bemüht sich die Kirche, ihr Arbeitsrecht zu modernisieren. Beschäftigte streiken derweil weiter. Der Konflikt zwischen Gewerkschaft und Kirche ist längst nicht beendet

In Niedersachsen ist die katholische Caritas, die ihre Mitarbeiter besser entlohnt als die Diakonie, tief in die roten Zahlen gerutscht

VON EVA VÖLPEL

BERLIN taz | Gerade mal 800 Meter entscheiden in Heidelberg darüber, ob eine Krankenschwester nach 20 Jahren 56.000 Euro mehr oder weniger in der Tasche hat. Arbeitet eine Schwester im Universitätsklinikum, hat sie Glück. Ist sie jedoch in der Klinik Salem der evangelischen Stadtmission angestellt, muss sie deftige Lohneinbußen hinnehmen, hat die Gewerkschaft Ver.di berechnet.

Die Beschäftigten der Stadtmission, darunter auch Altenpfleger oder Suchthilfeberater, haben genug davon. Seit Monaten versuchen sie, der evangelischen Einrichtung in Heidelberg einen Tarifvertrag samt Lohnerhöhungen abzutrotzen. Auch gestreikt wurde bereits – obwohl das laut kirchlichem Arbeitsrecht verboten ist.

Eigentlich sollten solche Auseinandersetzungen zwischen der evangelischen Kirche und der Gewerkschaft Ver.di seit November 2012 der Vergangenheit angehören. Da fällte das Bundesarbeitsgericht ein Grundsatzurteil zum kirchlichen Arbeitsrecht. Seither behaupten beide Seiten, sie hätten Recht bekommen. Und beide Seiten haben Recht – zumindest bisher.

Das Urteil besagt, der „dritte Weg“ im kirchlichen Arbeitsrecht, der Streiks und Betriebsräte ausschließt, ist nur zulässig, wenn Gewerkschaften in die Verhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen unter dem Kirchendach eingebunden sind (siehe Infokasten). Ein Verhandlungsergebnis muss verbindlich sein, im Streitfall ein neutraler Schlichter entscheiden.

Da das, wie Ver.di sagt, in 16 der 20 Bezirke der evangelischen Landeskirchen noch nicht der Fall sei, „rufen wir dort weiterhin zu Streiks auf“, sagt Georg Güttner-Mayer, zuständiger Gewerkschaftssekretär auf Bundesebene.

Die Kirche arbeitet derweil daran, ihr Arbeitsrecht zu modernisieren, um Streiks künftig auszuschließen. Das alles sei nicht einfach, sagt Hartmut Spiesecke, Sprecher des Verbands diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD). „Es müssen zum Beispiel Kriterien gefunden werden, wie viele Plätze in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen Gewerkschaftsvertretern zustehen sollen, oder ob ein anderes Beteiligungsmodell greifen soll.“

Die Crux ist nur: Ver.di will sich gar nicht einbinden lassen. „Wir wollen Betriebsräte und Tarifverträge, ohne Wenn und Aber“, sagt Güttner-Mayer. Die Gewerkschaft will den „dritten Weg“ ganz entsorgen. Sie hat dafür im April 2013 Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht und will notfalls vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Gleichzeitig arbeitet sie daran, Wohlfahrtseinrichtungen aus der kirchlichen Oberhoheit herauszulösen.

So wie in Niedersachsen. Dort einigte sich die Diakonie mit den Gewerkschaften Ver.di und Marburger Bund Ende Mai darauf, für die rund 40.000 Beschäftigten künftig Tarifverträge abzuschließen. Bis 2020 will man zudem für die insgesamt rund 425.000 Beschäftigten der Sozial- und Gesundheitsbranche des Landes einen einheitlichen Flächentarifvertrag durchsetzen.

Es ist ein ambitioniertes Projekt. Denn erst, wenn für 50 Prozent aller Beschäftigten der Branche ein Tarifvertrag gilt, kann dieser für allgemeinverbindlich erklärt werden.

Eigentlich müsste das Experiment ganz nach dem Geschmack der Kirche sein. Sie appelliert immer wieder an die Gewerkschaften, sich gemeinsam gegen den seit Mitte der 1990er Jahre wachsenden Finanzierungsdruck im Sozialwesen (siehe Infokasten) zu engagieren. Allerdings passiert es in Niedersachen nicht so, wie sich die Kirche das vorstellt.

Die Entscheidung der niedersächsischen Diakonie löste darum in der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) ein kleines Erdbeben aus. Ratspräsident Nikolaus Schneider begrüßte den Schritt. Gab aber etwas gequält auch zu verstehen, er hätte sich gewünscht, dass zunächst die Spitzen von EKD und Diakonie mit Ver.di verhandeln.

In der Diakonie warnen Stimmen zudem vor möglichen Folgen des Experiments: Wenn es nicht gelinge, den Flächentarifvertrag durchzusetzen und bei den Pflegekassen höhere Sätze auszuhandeln, müsse man künftig als einziger Träger hohe Tariflöhne zahlen.

Was dann passieren könnte, kann man in Niedersachsen bereits beobachten. Dort ist die katholische Caritas, die ihre Mitarbeiter besser entlohnt als die Diakonie, tief in die roten Zahlen gerutscht. Die Folge ist, dass die Caritas dort gleich mehrere Altenheime verkauft.

Niedersachsen ist nicht der einzige Konflikt, der die Kirche durchzieht. Bereits im November 2011 beschloss die Synode, das Kirchenparlament der EKD, zehn – allerdings unverbindliche – Forderungen. Darin heißt es beispielsweise, die Landeskirchen sollten auf „ersetzende Leiharbeit“ oder „Niedriglöhne“ verzichten. Die Synode stellte zudem fest, dass diakonische Unternehmen, die Tarifverträge anwenden, mit Ausschluss aus der Diakonie rechnen müssten.

Ginge es nach der EKD, müsste also bald die gesamte Diakonie Niedersachsen aus der Kirche fliegen. Das ist schwer vorstellbar. Nicht nur, weil sich die Kirche wohl kaum freiwillig so drastisch zurechtstutzt, sondern auch, weil viele in der Diakonie finden, man sei nach der christlichen Lehre unter allen Umständen zur Hilfe am Nächsten verpflichtet – und könne nicht so einfach diakonische Einrichtungen aus der Kirche „entlassen“. Wie immer der Konflikt ausgeht: So bald dürfte kein Friede unter dem Kirchendach einziehen.