„Die Zerschlagung ist unrealistisch“

ISLAMISTEN Die Muslimbrüder in Ägypten widerstehen seit 85 Jahren allen Repressionen, sagt die Wissenschaftlerin Annette Ranko

■ Die Politik- und Islamwissenschaftlerin forscht am Hamburger Giga-Institut für Nahost-Studien. Für ihre Doktorarbeit über die ägyptische Muslimbruderschaft während der 30 Jahre andauernden Mubarak-Herrschaft hat sie gerade den Deutschen Studienpreis erhalten.

taz: Frau Ranko, Sie haben verschiedene Muslimbrüder interviewt und die Bewegung zum Thema Ihrer Doktorarbeit gemacht. Was hat Sie an der Bruderschaft so interessiert?

Annette Ranko: Ich habe eine Zeit lang an der staatlichen Universität in Kairo Politik studiert und mich hat der semilegale Status der Bewegung in der Mubarak-Zeit interessiert. Die Muslimbruderschaft war ja eigentlich seit 1954 verboten, wurde aber dennoch unter Präsident Husni Mubarak vom Staat de facto toleriert. Sie war mit Abgeordneten im Parlament und in den Berufsverbänden vertreten.

Wie erklären Sie Mubaraks Politik gegenüber der Bewegung?

Am Anfang von Mubaraks Regierungszeit stellten die radikalen Islamisten die stärkste Oppositionsfraktion dar. Diese Opposition hatte Husni Mubarak von seinem Vorgänger Anwar Sadat geerbt. Aus ihren Reihen kamen die Mörder von Sadat, der am 6. Oktober 1981 erschossen wurde. Mubarak hoffte, die Muslimbrüder würden nun die Rolle eines Puffers zwischen den radikalen Kräften und dem Staat einnehmen. Sie wurden daher zunächst sogar gefördert. Als sie dann jedoch im Laufe der Jahre zu stark wurden, hat man versucht, sie mit unterschiedlichen Repressalien im Zaum zu halten.

Aus welcher Schicht kommen die Muslimbrüder?

Das Regime Mubaraks hat immer versucht, die Muslimbrüderschaft als Unterschichtenphänomen darzustellen, was aber nicht zutrifft. Die Mitgliedschaft der Organisation ist wie ein Querschnitt durch die ägyptische Gesellschaft. Es gibt durchaus einige wirtschaftliche Schwergewichte und Mitglieder der Oberschicht in ihren Reihen.

Also eine Volkspartei?

Sie wären es gern, aber nun zeigt sich, dass sie doch nicht so große Teile des Volkes hinter sich haben wie erhofft.

Neben der Armee scheint sich der gesamte Staatsapparat gegen sie gewendet zu haben. Woher kommt diese Abneigung, obwohl die Muslimbrüder keiner anderen Religion angehören und nicht offen extremistisch sind?

Genau darüber, ob die Muslimbruderschaft als extremistisch einzustufen ist oder nicht, streiten sich die Geister in Ägypten. Einige Liberale und Linke hatten immer wieder mit den Muslimbrüdern kooperiert. Sie sahen sie als pragmatisch-politische Kraft. Für andere jedoch ist die Muslimbruderschaft schon immer nur ein „Wolf im Schafspelz“: eine Kraft, die sich moderat gibt, in Wahrheit aber den gewaltbereiten Islamisten nahesteht.

Wird es dem Militär gelingen, die Bewegung zu zerschlagen?

Schon Präsident Gamal Abdel Nasser hat es in den 50er und 60er Jahren nicht geschafft, die Muslimbrüder zu zerschlagen, obwohl er es mit allen Mitteln versucht hat. In über 85 Jahren hat die Bewegung alle Repressionen überlebt. Langfristig gesehen halte ich eine komplette Zerschlagung für unrealistisch.

INTERVIEW: MIRCO KEILBERTH