Mehr Strahlenopfer als bekannt

ENERGIE Zahl der bei dem Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima verseuchten Arbeiter ist zehnmal höher als bisher veröffentlicht. Tanks für radioaktives Wasser rosten

Die Dosis liegt weit über dem Grenzwert, der für Atomarbeiter in Deutschland gilt

VON BERNHARD PÖTTER

BERLIN taz | Beim Atomunfall im japanischen Fukushima Daichii und den folgenden Aufräummaßnahmen sind weitaus mehr Arbeiter radioaktiv verstrahlt worden als bislang bekannt. Nach Angaben des Betreibers Tepco wurden 1973 Menschen mit mehr als 100 Millisievert belastet. Bisher hatte der Betreiber nur die Zahl von 178 Verstrahlten angegeben. Die aktuellen Daten stammen aus einem Bericht des Bundesumweltministeriums an den Bundestag. Das Papier liegt der taz vor.

Die neuen Informationen wurden laut Bericht bekannt, weil das japanische Gesundheitsministerium Tepco aufgefordert hatte, aktuelle Zahlen zur Belastung der Schilddrüse der Arbeiter vorzulegen. Zum Stichtag Anfang Mai 2012 fand Tepco dann in seinen Unterlagen plötzlich mehr als zehnmal so viele hochverstrahlte Arbeiter als bis dato angegeben. 100 Millisievert gelten nicht als direkt gesundheitsgefährdend, liegen aber weit über dem in Deutschland für Atomarbeiter geltenden Grenzwert von 20 Millisievert pro Jahr. Die gesamte Dosis für das Arbeitsleben eines AKW-Beschäftigten beträgt nach Informationen des Bundesamts für Strahlenschutz in Deutschland 400 Millisievert.

Erst vor wenigen Wochen war in Fukushima wieder klar geworden, dass die Atomruine auch zweieinhalb Jahre nach dem Super-GAU vom 11. März 2011 bei Weitem nicht unter Kontrolle ist. So hatte erst im Juli ein Arbeiter gemeldet, dass aus Block 3 der Anlage Dampf austrat. So etwas passiere „von Zeit zu Zeit“ und könne Regenwasser sein, das im Inneren der Gebäude verdampft, hieß es.

Auch über den Verbleib von drei Kubikmetern Stickstoff pro Stunde gibt es bei Tepco nur Vermutungen. Das Gas wird in die Reaktorhülle eingeleitet, um den explosiven Wasserstoff zu verdrängen.

Der Betreiber Tepco hatte vorige Woche außerdem zugegeben, dass radioaktives Wasser ins Grundreich und ins angrenzende Meer geflossen ist. Das verstrahlte Wasser, das zur Kühlung der Reaktoren ins Werk gepumpt wird, hat inzwischen die Grenzen der Speicherkapazität fast erreicht. Daraufhin hatte die japanische Regierung erklärt, sie werde die Aufräumarbeiten nicht mehr Tepco allein überlassen, sondern müsse selbst aktiv werden.

Nun sind offenbar auch noch die Wassertanks undicht, in denen das verstrahlte Wasser wieder aufbereitet werden soll. Wegen „Leckagen, die durch Korrosion verursacht wurden“, soll die Aufbereitungsanlage für 90 Tage ab August außer Betrieb genommen werden, heißt es im Bericht des Umweltministeriums. Die Tanks sollen eine Innenschicht bekommen, die nicht rostet. Was in diesen drei Monaten mit dem Wasser geschehen soll – bisher sind insgesamt 700.000 Kubikmeter aufbereitet worden –, geht aus dem Bericht nicht hervor.