Vom Einkaufszettel überfordert

Den Furz-, Pinkel- und Geschlechtstrieb erforschen: Matthias Keidtels Roman „Ein Mann wie Holm“

Es ist ein Elend mit den Männern. Ihr Leben lang hängen sie an Mamas Rockzipfel. Und wenn sie da nicht hängen, hängen sie an ihrem Schwanz.

Die Geschichte eines besonders erbärmlichen Exemplars dieser Gattung erzählt Matthias Keidtel in seinem Roman „Ein Mann wie Holm“. Felix Holm ist 37, hat keinen Beruf und lebt bei Tante Hede in einer Hochhaussiedlung in Berlin-Gropiusstadt. Zwischen Häkeldeckchen und Rentnerinnentratsch fühlt sich Holm so weit ganz wohl. Er hat streng reglementierte Pflichten im Haushalt und nebenbei genug Zeit für sein Projekt „Einleben“. Denn Holm, das wird durch einen gehörigen Aufwand von Weltallmetaphern erklärt, ist nie angekommen im Berlin dieser Tage, sondern steht dem Leben mit Abstand und Verwunderung gegenüber. Die Abarbeitung eines Einkaufszettels für eine Kartoffelsuppe kann ihm zur Herausforderung werden.

Dass Holm ein entfernter Verwandter des Herrn Lehmann sein soll und die Literaturgeschichte der Taugenichtse fortschreiben will, liegt auf der Hand. Während Lehmann aber sein Dasein in Seelenruhe in der Eckkneipe verbringt, tritt Holm als hysterisierte Persönlichkeit auf. Und der macht vor allem eins zu schaffen: der Trieb. Onanieren in Tantes Badezimmer und Pornoheftlesen reichen nicht mehr aus. Es muss eine echte Frau her. Dass ihr Neffe mit knapp 40 noch nie auf Tuchfühlung mit der Damenwelt gegangen ist, findet selbst Tante Hede nicht akzeptabel, und so ist sie es, die die Initiative ergreift. Die fesche Kleidung, die er sich unter ihrer Anleitung kauft, führt den Novizen prompt zum Erfolg. Sie heißt Ulrike, ist Herrenkonfektionsverkäuferin im KaDeWe, und ein gemeinsames Abendessen in einer Steakhauskette reicht aus, um bei ihr einzuziehen.

Wer jetzt annimmt, Felix Holm hätte die Bestimmung seines Vornamens erfüllt, der wird von Keidtel eines Besseren belehrt. Wie soll ein Mann, dessen Friede davon abhängt, pünktlich zur „Tagesschau“ das Abendessen einzunehmen, mit der weiblichen Lust auf einen Kinobesuch umgehen? Viel schlimmer noch das überraschende Mittagessen bei der Schwägerin, bei dem Holm von Blähungsattacken heimgesucht wird.

Es liegt wohl an der endlosen Reihe von Problemen, die Keidtel seinem Protagonisten andichtet, dass nicht nur Holm nicht zur Ruhe kommt, sondern auch die Figur selbst keinen rechten Griff bekommen will. Mit jedem neuen Handlungsfaden tut sich ein neuer Abgrund des Protagonisten auf. Das kann man als Absurdität des Lebens bezeichnen. Und die ist bei Keidtel phasenweise auch recht komisch. Tragisch aber ist sie nicht. Das ist sie nur, wenn man ahnt, dass Holms Wirkung auf seine Mitmenschen passabel ist, während innerlich gerade mal wieder alles in ihm zusammenstürzt. Und so hat man dann irgendwann einfach genug von so viel Furz-, Pinkel- und Geschlechtstrieb.

WIEBKE POROMBKA

Matthias Keidtel: „Ein Mann wie Holm“. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2006, 352 Seiten, 15,90 €ĽMatthias Keidtel liest morgen um 20.30 Uhr im Festsaal Kreuzberg