Die Attribute des Bösen

JUGENDGEWALT Junge Migranten bevölkern die Kriminalitätsstatistiken. Das macht sie zum Politikum

BERLIN taz | Männlich, jung, Migrationshintergrund: Aus Studien und Polizeistatistiken stechen diese Eigenschaften hervor. Denn besonders in Großstädten wie Berlin geht ein signifikanter Teil der polizeilich erfassten Gewalttaten auf das Konto junger Männer mit Migrationshintergrund. Oft handelt es sich dabei um solche türkischer Herkunft.

Kriminalisten und Sozialwissenschaftler halten es jedoch für falsch, daraus zu schließen, dass junge Deutschtürken per se stärker zur Gewalt neigen würden als gleichaltrige Jugendliche deutscher Herkunft. Ausschlaggebend seien vielmehr Faktoren wie Bildungsstand und soziale Lage sowie Männlichkeitsideale und der Erziehungsstil der Eltern. „Jugendkriminalität ist kein Ausländerthema, sondern ein Unterschichtenthema“, auf diese Formel brachte es einmal der bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer aus Niedersachsen.

Der Haupttäter Onur U., der jetzt im Fall Jonny K. die höchste Strafe bekommen hat, steht geradezu exemplarisch für diesen Typus von Tätern, wie man ihm in Studien und Statistiken begegnet: Mehrfach vorbestraft, weil er schon früher seine Fäuste nicht im Zaum halten konnte, hat der ehemalige Boxer nur die Hauptschule abgeschlossen, einen Job als Lagerarbeiter bei der Bundeswehr schmiss er hin. Bis zuletzt lebte er bei seinen dominanten Eltern, die Hartz IV beziehen. Auch die anderen Angeklagten, die nicht vorbestraft waren, haben keinen weiterführenden Schulabschluss oder eine Ausbildung. Das Fehlen einer Berufsperspektive kompensierten sie womöglich durch aggressives Auftreten und körperliche Kraft.

Das Angstbild solcher „türkischen Macho-Schläger“ war in der Vergangenheit geeignet, sogar Wahlkämpfe und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Als zwei Jugendliche, einer davon Deutschtürke, vor sechs einhalb Jahren in der Münchner U-Bahn einen Rentner verprügelten, griff der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch den Fall auf, um seine Wiederwahl zu sichern. Und der Erfolg des Bestsellers der ehemaligen Jugendrichterin Kirsten Heisig aus Berlin, „Das Ende der Geduld“, die sich vor allem mit jungen arabischen und türkischen Intensivtätern in Berlin-Neukölln befasst hatte, brachte die Bundesregierung dazu, im März diesen Jahres den sogenannten Warnschuss-Arrest einzuführen, wie sie es im Koalitionsvertrag beschlossen hatte.

Auch der Fall Jonny K. hat hohe Wellen geschlagen: Weil der Hauptverdächtige Onur U. nach der Tat in die Türkei geflohen war, schaltete sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, um dessen Auslieferung zu verlangen. Nachdem die türkische Justiz gegen ihn zu ermitteln begann, kehrte der Flüchtige im April aus freien Stücken zurück. Die Boulevardmedien hatten ihn da längst schon zu einer Art „Gesicht des Bösen“ stilisiert.

Die Schwester von Jonny K. dagegen bekam durch die Tragödie viel Aufmerksamkeit von den Medien. Sie trat in Talkshows auf, gab viele Interviews und gründete die Antigewaltinitiative „I am Jonny“. Im November 2012 wurde sie, zusammen mit dem Rabbiner Daniel Alter, der in Berlin von offenbar arabischstämmigen Jugendlichen verprügelt worden war, in der TV-Gala des Burda-Verlags mit dem „Integrationsbambi“ ausgezeichnet.

DANIEL BAX