Schätze in Flaschen

Im Weinraritäten-Kabinett des KaDeWe lagern Funde, die ein hohes Alter und Geschichte haben: etwa ein für den Zaren bestimmter Champagner, den einst ein deutsches U-Boot versenkte

VON TOM WOLF

Die Flasche Wein, die ich betrachte, stammt aus dem Jahr 1864. Damals gab es das Berliner „Kaufhaus des Westens“, kurz KaDeWe, noch nicht, es wurde erst 1907 im bis dahin stillen, vornehmen Westen am Wittenbergplatz eröffnet, fünf Jahre nachdem sich die U-Bahn bis „jott we de“ hinausgewagt hatte.

Auf dem Etikett der alten Flasche steht: „Eltviller Langenstück, Gräflich Eltzische Kellerei“. Mit feiner blauer Tinte hat Graf Eltz sie handsigniert. Ob ich sie kaufen wolle, fragt mich Sommelier Denis Knecht. Ich erwäge es kurz, schüttele dann aber den Kopf. Mein Spesenbudget ist zu klein, auch wenn das Dreiviertelliterfläschchen mit 1.695 Euro keineswegs sehr teuer ist. Im Vergleich zum übrigen Angebot des Weinraritätenkabinetts, versteht sich: Ein 1997er oder 2001er Romanée-Conti etwa kostet 3.100, ein Brunello di Montalcino von Biondi-Santi, Jahrgang 1990 – die teuersten 0,75 Liter im Programm des KaDeWe –, 4.950 Euro. Mehr Flüssigkeit fürs Geld bietet da eine Riesenbuddel Chateau Mouton Rothschild, 1986; combien d’argent? 4.995 Euro.

Knecht legt das „Eltviller Langenstück“ zurück in die Vitrine. Gestern war ein Fernsehteam da, deshalb liegt der älteste Ladenhüter nicht wie üblich bei 13 Grad Lagertemperatur in einem der sechs Rara-Keller, sondern im klimatisierten, begehbaren Weinschrank im sechsten Obergeschoss des KaDeWe.

Schon Knechts Vorgänger Daniel Gresser hatte es 1996 in seiner Obhut, wie ein damaliger Zeitungsbericht zeigt. Es scheint sich niemand für den Tropfen zu interessieren. Ob er wohl noch edel, noch trinkbar ist? Was bewegt die Käufer uralter Weine? Wer sind überhaupt die typischen Käufer von Weinoldies? Rentiert sich die Raritätenabteilung? Wo werden die alten Weine eingekauft? Und: Wer muss zahlen, wenn ihm beim Bestaunen was runterfällt?

Sommelier Knecht, gebürtiger Elsässer, zuletzt im noblen Pariser „Hotel de Crillon“ am Place de la Concorde tätig, lauscht geduldig meinen Fragen und beantwortet sie ausführlich. Der hochgewachsene dunkelhaarige Mann mit schwarzer Hose, weißem Hemd, grüner Weste und gleichfarbiger Fliege arbeitet gern als Chef der größten europäischen Kaufhausweinabteilung. Er genießt es, über 3.500 verschiedene Weine aus 30 verschiedenen Ländern zu gebieten (1.350 französische übrigens) und Kundschaft im Hochpreissegment fachkundig zu beraten.

Ob alte Weine noch genießbar seien oder gar Genuss bereiten können, hänge in erster Linie von ihrer Lagergeschichte ab. Im Glücksfall seien sie, da viel weicher, tannin- und säureärmer, durchaus schmackhaft. Das wertvolle Depot von Heidsieck-Champagner aus dem Jahr 1907 – 1998 entdeckt und jetzt in einem KaDeWe-Spezialkeller auf potente Käufer wartend (4.350 Euro die Flasche) – beweise, dass bei optimaler Lagerung (Meeresgrund in 64 Meter Tiefe, 3 Grad Celsius) die Chance auf außergewöhnlichen Genuss sehr hoch sei. Über diesen Champagner will ich noch mehr erfahren. Doch erst mal keine Störung hineingebracht …

Die Uraltweine stammen aus Privatweinkellern oder Weingutauflösungen. Knecht entscheidet vor Ort, was er für das KaDeWe erwirbt und was nicht. Alter allein ist nicht entscheidend und (wie das „Eltviller Langenstück“ zeigt) ein schlechter Ratgeber. Die Raritätenabteilung, so Knecht, sei schließlich kein Museum. Prestige spiele wohl eine Rolle, aber Verluste müssen minimiert werden. Gute Lagerung und qualitätsverheißende Jahrgänge großer Weindomänen sind ausschlaggebend beim Aufstocken der Bestände.

Sammler alter Weine kennen sich aus. Daneben gibt es viele Kunden, die sich unabhängig von qualitativen Erwägungen für bestimmte Jahrgänge interessieren: Großpapas 75. Geburtstag verlangt nach einem Wein von 1931: ein Problem, wie die Rara-Liste zeigt, denn auf Lager sind nur ein „Chateau Margaux“ von 1929 (preiswerte 1.195 Euro) und eine „Steinberger Staatsdomäne Eltville“ (schlappe 1.100 Euro bloß). Knecht zieht bei Ankäufen stets mehrere Suchlisten zu Rate, um das Risiko zu minimieren.

Wer sind nun aber die typischen Käufer, von den Jubiläumskunden einmal abgesehen? Knecht will nicht so recht mit der Sprache heraus. Fast als sei er Hüter eines Bankgeheimnisses. „Viele hochgestellte Persönlichkeiten“, sagt er etwas ausweichend erst. „Na ja“, schränkt er ein, „vor allem Leute, die Geld haben.“ Schon klar. Es seien übrigens, entschlüpft ihm dann, „nicht in erster Linie deutsche Kunden“. Interessant. Englische Lords? Ich tippe dann doch auf die Familie El Saud. Können nur Saudis sein! Der Sommelier lächelt und schüttelt den Kopf. Mit vollendeter Beiläufigkeit, welche die ehrliche Verachtung ausmacht, klärt er mich auf: „Neureiche Russen.“ Knecht will das unliebsame Thema schnell verlassen und führt mich zu einer Sondervitrine mit dem zuvor erwähnten Champagner aus dem Ersten Weltkrieg – das ist jedoch eine treffliche Überleitung, denn es handelte sich um den „Champagner des Zaren“, der auf Schiffsreise nach Sankt Petersburg absoff.

Das deutsche Unterseeboot U 22 torpedierte 1916, nur 20 Seemeilen vor dem Ziel, das Champagnertransportschiff „Jönköping“. 1998 wurde das Wrack geortet. Erfreulicherweise fanden sich im Laderaum große Bestände von „Goût Americain Vintage“, Champagner von Heidsieck & Co Monopole in Reims aus dem Gründungsjahr des KaDeWe – 1907. Dessen Raritätenkabinett schlug dementsprechend freudig zu und landete so seinen vielleicht größten Coup. Die Flaschen wurden sofort mit Wachs versiegelt, um Oxidation zu verhindern. Ein Spezialkühlraum wurde auf die Temperatur des Fundortes programmiert. Ein wahrer Schatz im Kühlhaus!

Ob die neureichen Russenmafiosi wohl noch genügend Nachschub für Champagnerbäder haben? Wie viele Flaschen gibt es denn davon? Sommelier Denis Knecht hüllt sich in Schweigen. Er lächelt, was es zu beredtem Schweigen macht. Die Tür zum begehbaren Klimakasten schließt sich.

Tja, und im Übrigen? „Berührt ist geführt“ gilt zwar beim Schach, doch nicht bei kostbaren Flaschen. Wenn hier etwas zu Bruch geht, ist es Schicksal. Die Flaschen sind nicht einzeln versichert. Falls der Inhalt der Kellerräume bei einer Katastrophe (Ausfall der Kühlanlage, Feuer) komplett vernichtet würde, zahlt die Hausratversicherung. Alte Weine, Champagner und Spirituosen im Wert von über einer Million Euro wären auf ewig untrinkbar – Geschichte eben.