Frankreich nach den Regionalwahlen – Anfang vom Ende für Sarkozy?

PRO

Im März 2004, drei Tage vor den spanischen Parlamentswahlen, explodierten Bomben in Madrid und töteten 191 Menschen. Premierminister José María Aznar hätte zu gerne gesehen, dass es die ETA gewesen wäre. Pech für ihn: Die Täter waren Islamisten. Aznar verlor die Wahl. Im März 2010, drei Tage vor den französischen Regionalwahlen, töteten Schüsse einen Polizeibeamten in einem Pariser Vorort. Nicolas Sarkozy hätte zu gerne gesehen, dass es Islamisten gewesen wären. Pech für ihn: Die Täter waren von der ETA. Sarkozy verlor die Wahl.

Aber es geht hier nicht nur um schlechtes Timing. Sarkozys Erfolgsrezept, Zukunftsangst durch Sicherheitsrhetorik ruhigzustellen, hat sich schlicht abgenutzt. Die Widersprüche zwischen autoritärem Populismus und neoliberaler Politik liegen offen. Als Sarkozy im Jahr 2002 Innenminister wurde, stellte der Staat 13.000 zusätzliche Polizisten ein. Inzwischen wurden mehr als drei Viertel der Stellen wieder abgebaut: Sparzwang verpflichtet, aber die Verrohung in Teilen der Gesellschaft hat nicht abgenommen.

In Sachen Antieinwandererhetze ziehen die Wähler wieder das Original Front National vor. Auf sozialer Ebene hielt Sarkozy nicht, was seine Wählerschaft sich von ihm versprach. Statt Lohnerhöhungen stellte er 2007 mehr Geld am Monatsende durch Überstundenzuschläge in Aussicht: „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen.“ Das ist ohnehin widersprüchlich, da Überstunden für höhere Arbeitslosigkeit sorgen. Vor allem aber werden Überstunden nur auf Abruf der Unternehmen verrichtet, nicht auf Verlangen der abhängig Beschäftigten. In Krisenzeiten ist es damit vorbei.

Schließlich tritt im bürgerlichen Lager Sarkozys Erzrivale Dominique de Villepin mit einer neuen Partei an. De Villepin kritisiert den Amtsinhaber mal von einer moderateren – mit Kritik an dessen Rassismus –, mal von einer unternehmerfreundlichen Position aus – in diesem Fall mit Kritik am ausgebliebenen Kippen des Kündigungsschutzes. Der Feind aus den eigenen Reihen könnte Sarkozy endgültig die Chancen auf einen künftigen Wahlsieg kosten.

BERNARD SCHMID arbeitet als Jurist und Journalist in FrankreichFoto: privat

CONTRA

Totgesagte Politiker leben länger – länger, als man denkt. Denn oft entspringt der schadenfrohe Nachruf eher Wunschdenken als der Realität. In Frankreich aber, so lautet die Regel, ist ein Politiker erst dann wirklich tot und erledigt, wenn er entweder im Sarg liegt oder in den Olymp der immortels (Unsterblichen) der Académie française befördert wurde.

Für beide Endstationen scheint Nicolas Sarkozy noch ein bisschen zu jung, auch wenn er derzeit total verbraucht wirkt. Wer da bereits über seine Nachfolge spekuliert oder ihn beerben will wie Dominique de Villepin, unterschätzt diesen schlitzohrigen Taktiker gewaltig. Bis 2012, wenn Sarkozy zweifellos (wenn auch gegen den ausdrücklichen Wunsch von Carla) für seine Wiederwahl antreten wird, hat der heute desavouiert dastehende Präsident genug Zeit, mit neuen demagogischen Versprechen den politischen Bauernfänger zu spielen und sich ein frisches Image zu zimmern: notfalls mit nationalistischen Parolen und populistischen Sprüchen, die es ihm erlauben, dann doch wieder die Wähler der extremen Rechten ins bürgerliche Lager zu locken.

Damit Sarkozy verliert, müsste aber vor allem die Linke gewinnen. Und das ist trotz des Triumphs bei den Regionalwahlen alles andere als sicher. Wer die Streithähne und -hennen bei den Sozialisten kennt, die alle bei der Vorwahl aufeinander herumhacken werden, kann da nur einen Seufzer ausstoßen. Auch die noch fragile Linkseinheit mit den Grünen, die ihrerseits in einer Wachstumskrise stecken, in der jeder und jede um einen Kopf größer herauskommen will, wird von zig individuellen Ambitionen belastet. Hier kann und wird die Rechte auf Kosten einer sich selbst diskreditierenden Gegenseite punkten.

Der dümmste Fehler wäre es, Sarkozy zu unterschätzen. Da er nur aus persönlichem Ehrgeiz und nicht aus irgendwelchen Überzeugungen Politik macht, ist Sarkozy noch lange opportunistisch genug, sich neuen Gegebenheiten und Kräfteverhältnissen anzupassen. Eine regionale Wahl, die ihn nicht umbringt, kann ihn am Ende sogar wieder stärker machen.

RUDOLF BALMER ist Frankreichkorrespondent der tazFoto: privat