„Das hier ist ein Streik und kein Krieg!“

Szenen aus dem längsten Streik seit 80 Jahren: Erzieherinnen ärgern sich über Elternproteste, Müllwerker über ignorante Vorgesetzte. In Baden-Württemberg streiken die kommunalen Beschäftigten trotz des Schlichtungsverfahrens weiter

AUS STUTTGART HEIDE PLATEN

Bananenschalen, Plastikbecher, schmutzige Häufchen überall rund um die vollgestopften Edelstahlpapierkörbe in der Königstraße. Die Stuttgarter werfen den Unrat auf ihrer Nobelmeile auch nach fast sechs Wochen Streik nicht einfach irgendwohin, sondern säuberlich rund um die dafür vorgesehenen Behältnisse. In den Passagen türmen sich die Plastiksäcke, mancher Geschäftsmann greift eigenhändig zum Besen und kehrt säuberlich sein Karree.

In der kalten Morgendämmerung entsorgen private Müllmänner der Firma Kappel zwischen Ochs’n Wirt und Esprit Kneipen- und Verpackungsmüll. Sie kicken die Säcke eilig mit kräftigen Tritten zum Lastwagen, der Motor läuft, der Fahrer steigt heftig aufs Gaspedal. An den Papierkörben nämlich baumeln die Schilder der streikenden Kollegen der kommunalen Müllabfuhr ABS: „Streikbrecher – Hände weg von unserem Müll!“

Gegenüber im Gewerkschaftshaus ist der Kampfgeist trotz des Schlichtungsverfahrens zwischen Ver.di und dem kommunalen Arbeitsgeberverband ungebrochen. Die städtischen Müllwerker drängen zur Streikversammlung. Der starke Gewerkschaftsbezirk ist die Seele des Streiks in Baden-Württemberg und mobilisiert seine Kräfte seit Mittwoch zum Endspurt.

Ver.di-Bezirksleiter Bernd Riexinger deutet an, dass es am Sonntagnachmittag erste Vorschläge der Schlichter geben könnte. Zum Durchhalten muss er niemanden überreden. Die Signale sind eindeutig: „Wir können auch länger, nicht nur sechs, auch sieben, acht Wochen.“ Die Versammlung entscheidet sich einstimmig dafür, mindestens noch bis Montag flächendeckend zu streiken, außerdem weitere Schwerpunkte zu setzen: Bäder- und Standesamt, Theater und zur Landtagswahl die Statistiker.

Jose Pieris aus Portugal hat seinen Streikzettel im Erdgeschoss stempeln lassen, einmal wöchentlich gibt es Geld aus der Streikkasse, ungefähr die Hälfte seines normalen Gehaltes. Aber er will durchhalten, ebenso wie sein Kollege Enzo aus Italien. Der ist stocksauer. Er hatte sich gegen längere Arbeitszeiten für ältere Kollegen eingesetzt: „Da hat der Chef gesagt, ich hätte ja auch was anderes lernen können!“ Das sei zynisch: „Wenn ich was anderes gelernt hätte, dann müsste der seinen Dreck selber wegräumen!“

Der Saal leert sich, die Männer gehen, die Frauen kommen. Einige hundert Erzieherinnen, Kita-Leiterinnen, Jugendamtsangestellte artikulieren den Druck, dem sie in den letzten Wochen ausgesetzt gewesen sind, vor allem von den Eltern. Viele seien zwar solidarisch, aber andere eben auch nicht. Zwei Erzieherinnen empören sich über die „Mittelstandseltern“, die ihre Kinder einfach „abliefern und ein totales Dienstleistungsverhältnis zu uns haben“.

Vor dem Haus demonstriert eine Delegation des Gesamtelternbeirates (GEB) nebst Luftballons und Kindern nach der Melodie von „Alle meine Entchen“ gegen den Streik: „Hört doch auf zu streiken! Seid nicht so gemein!“ Zwei Müllmänner kommentieren knapp: „Verpisst euch!“ Ver.di-Sekretär Cuno Hägele bleibt höflich und bittet die Eltern zur Diskussion in den rappelvollen Saal. Sie beteuern, dass sie nicht gegen Ver.di Partei ergreifen wollten. Aber der lange Streik sei „Erpressung“ zu Lasten der Kinder: „Wir wollen nur, dass das aufhört.“ – „Ihr lasst euch instrumentalisieren!“, entgegnen die Erzieherinnen und verweisen auf den großzügigen Notdienst. Bis Montag, entscheiden auch sie dann mit großer Mehrheit, werde weitergestreikt.

Am Ende diskutieren Gewerkschafterinnen mit den GEB-Frauen im Foyer weiter. Nein, ein Streik sei keine Erpressung, sondern ein Grundrecht. Eine Elternbeirätin fragt ernsthaft, ob sie für die Streikfolgen Entschädigung wegen „höherer Gewalt“ einklagen könne. Eine Gewerkschafterin belehrt geduldig: „Nein, das hier ist ein Streik und kein Krieg!“