Ursache Herzinfarkt

Milošević hatte einen faschistoiden und kleptokratischen Staat aufgebaut

AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI

„Milošević ist auferstanden“, steht auf einem Graffito im Zentrum Belgrads. Und tatsächlich scheint der Geist des ehemaligen Präsidenten Serbiens und Jugoslawiens allgegenwärtig zu sein. Welche Zeitung man auch in die Hand nimmt, auf der Titelseite prangt Slobodan Milošević mit entschlossener Miene und festem Blick. TV-Sender haben abrupt das Programm geändert, seit Tagen werden Milošević gewidmete Sendungen ausgestrahlt. In Kneipen und Lokalen prallen zwei Welten aufeinander: Die einen weinen dem großartigen Volksführer nach, die anderen sind entsetzt darüber, dass jemand dem Verbrecher überhaupt nachtrauern kann.

Nach seinem Tod am Samstag gedachten tausende Menschen am Belgrader Zentralfriedhof des vor drei Jahren ermordeten serbischen Premiers, Zoran Djindjić. Der kompromisslose Reformer ließ Milošević verhaften und an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen ausliefern. Tausende Menschen zündeten vor dem Sitz der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) mit Tränen in den Augen Kerzen für die Seele des in Den Haag „getöteten“ Milošević an. Mitläufer des serbischen Diktators organisierten das tödliche Attentat auf Djindjić, das ehemalige Mitglieder der Sondereinheiten der Polizei vollstreckten.

Auch nach ihrem Tod wird der Kampf für das politische Erbe der zwei bedeutendsten Politiker Serbiens nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien fortgesetzt. Aus Europa betrachtet, ist das schlicht der Kampf des Guten gegen das Böse. In Serbien ist es die Wahl zwischen einer europäischen, modernen Zukunft und einer nationalistischen Vergangenheit. Dass Letzteres Serbien in die internationale Isolation führen könnte, darin sehen die Anhänger Milošević’ kein Problem.

So erweist sich Milošević im Tod möglicherweise als gefährlicher für die politische Stabilität Serbiens als lebendig im Gefängnis. Die Frage, wo und wie er begraben werden soll, droht in eine Regierungskrise zu führen.

Die SPS forderte für ihren geliebten Parteiführer ein Staatsbegräbnis mit allen Ehren. Andernfalls, drohen SPS-Funktionäre, würden sie der Minderheitsregierung die parlamentarische Unterstützung entziehen und SPS-Abgeordnete das Parlament verlassen. Einen offiziellen Antrag soll schon Milošević’ Rechtsvertreter, Zdenko Tomanović, der serbischen Regierung im Namen des Milošević-Sprösslings Marko gestellt haben. Marko soll den Leichnam seines Vaters in Den Haag übernehmen.

Doch andere Koalitionspartner von Premier Vojislav Koštunica wollen aus der Regierung zurücktreten, wenn für Milošević ein Staatsbegräbnis gestattet wird. Dann würden Djindjić und Milošević womöglich nebeneinander begraben liegen, und das wäre ein Skandal.

Der Kompromiss könnte sein, heißt es inoffiziell, dass Milošević in Belgrad, aber ohne Staatsehren bestattet wird. In diesem Fall müsste allerdings der gegen die Milošević-Gattin Mira Marković vorliegende Haftbefehl suspendiert werden. Der serbische Präsident Boris Tadić erklärte gleich, es falle ihm nicht ein, Milošević’ Familie zu amnestieren. Rechtsexperten meinen, eine Aufhebung des Haftbefehls, damit jemand dem Begräbnis von Familienangehörigen beiwohnen kann, sei nicht möglich. Dieses Problem müsse politisch gelöst werden.

Immer lauter werden inzwischen die Stimmen rechtsradikaler Kräfte, die fordern, dass Milošević für seine Verdienste ein Denkmal in Serbien errichtet wird. Zurückhaltend dagegen sind moderate Politiker, die der Familie Milošević und seiner SPS höflich ihr Beileid ausdrücken.

Unter dem Banner des Nationalismus hatte Milošević einen faschistoiden, doch im Grunde genommen kleptokratischen Staat aufgebaut. Milliarden verschwanden auf private Konten in Zypern oder Russland. Die systematische Ausbeutung ruinierte Serbien im Jahrzehnt der Kriege, internationaler Isolation und Wirtschaftssanktionen. Den Bürgern wurden rund 100 Millionen Euro in Devisen und Dinaren für eine „Volksanleihe zur Wiedergeburt Serbiens“ abgepresst. Der größte Teil verschwand in privaten Taschen. 1991 wurden alle Spareinlagen in Devisen eingefroren. Der Staat eignete sich so rund 4,35 Milliarden Euro an, errechnete der heutige Finanzminister Mladjan Dinkić. Der Diktator, seine Gattin und ihre Verbündeten verfügten zudem über das wirtschaftliche Monopol im Lande. Polizei, Justiz, paramilitärische Einheiten waren so eng mit der Mafia verflochten, dass man sie bis heute nicht ganz voneinander trennen kann. Jeder Staat hat seine Mafia, pflegte man in der Ära von Slobodan Milošević zu sagen, doch in Serbien hat die Mafia ihren eigenen Staat. Eine Schande sei, behaupten proeuropäische Kräfte in Serbien, dass Milošević vor dem UNO-Tribunal „nur“ der Prozess wegen Kriegsverbrechen gemacht worden ist, nicht auch für die Verbrechen und Morde, für die er in Serbien verantwortlich ist.

Diejenigen, die ihn als Helden in den serbischen Mythos einbauen wollen, haben offenbar die langen Flüchtlingskolonnen, riesige Schlangen vor leeren Geschäften und die Inflation vergessen. Auch die neue Legende, dass das antiserbische UNO-Tribunal Milošević vergiftet habe, verbreitete sich schon vor den Ergebnissen der Obduktion. Diese resümierte gestern, Milošević sei an einem Herzinfarkt gestorben. Er hatte jedoch möglicherweise mit einer eigenmächtigen Medikamenteneinnahme eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands in Kauf genommen. Der niederländische Toxikologe Ronald Uges sagte in Den Haag, Milošević habe mit der Einnahme des Antibiotikums Rifampicin, das die Wirkung der ihm verschriebenen Mittel gegen Bluthochdruck aufhob, eine medizinische Behandlung in Russland erzwingen wollen. Nach eigenen Angaben hatte Uges zwei Wochen zuvor Milošević’ Blut analysiert und darin das bei Tuberkulose und Lepra angewendete Antibiotikum nachgewiesen. „Ich bin sicher, dass er das Medikament selbst einnahm, weil er eine einfache Fahrt nach Moskau wollte.“ Milošević hatte im Dezember beim UNO-Kriegsverbrechertribunal vergeblich beantragt, sich in einem Moskauer Herzzentrum behandeln lassen zu dürfen.