MILOŠEVIĆ’ TOD BRINGT DIE SERBISCHE REGIERUNG IN BEDRÄNGNIS
: Zeit der Verschwörungstheorien

Noch als Toter macht Slobodan Milošević Politik. Und auch wenn es nicht so geplant war – die Querelen um seinen Tod dürften ganz in seinem Sinne sein. Denn sollte sich herausstellen, er habe sich gegenseitig in ihrer Wirkung aufhebende Medikamente erhalten oder sei gar vergiftet worden, dann hätte das UN-Tribunal in Den Haag ein Problem.

Schon der Selbstmord des verurteilten kroatischen Serbenführers Milan Babić in der Haft in Den Haag vor zwei Wochen ließ aufhorchen. Die Umstände sind immer noch nicht geklärt. Sollten sich die Vorwürfe, die den Tod von Milošević betreffen, nun als wahr herausstellen, dann hätte das gesamte Tribunal an Autorität eingebüßt.

Vor allem in Serbien natürlich. Für die Nationalisten dort ist die Affäre ein Gottesgeschenk: Wer in Belgrad mag jetzt noch nach der Verhaftung der flüchtigen Kriegsverbrecher Ratko Mladić und Radovan Karadžić rufen, um sie nach Den Haag zu schicken? Die Verschwörungstheorien über die finsteren Mächte, die Serbien knechten wollten, feiern nun wieder Auferstehung. Der Mann, der nicht nur für den Tod von hunderttausenden Menschen verantwortlich ist, sondern auch politische Gegner und ehemalige Freunde ermorden ließ, der Serbien in die militärische Niederlage und den wirtschaftlichen Niedergang führte, bekommt in den Augen vieler Serben posthum einen Heiligenschein verliehen.

Denn das Gift, das Slobodan Milošević in die serbische Gesellschaft eingepflanzt hat, zeigt immer noch Wirkung. Gegen nationalistische Emotionen hat die rationale Politik einen schweren Stand. Die Regierung Koštunica steckt in der Klemme und könnte sogar an der Frage zerbrechen, wo und wie Milošević begraben wird – und das alles ausgerechnet am 3. Jahrestag der Ermordung des Premiers und Milošević-Gegners Zoran Djindjić.

Dabei hat Serbien derzeit ganz andere Probleme: Die Status-Verhandlungen zum Kosovo stehen an, die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit in Montenegro und die Verhandlungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen. Das Gerangel um Milošević, das nach seinem Tod eingesetzt hat, verbessert die serbische Position nicht gerade.

ERICH RATHFELDER