der engländer und seine veredelten kartoffelabfälle von RALF SOTSCHECK
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Wenn der Engländer den Mund aufmacht, entströmt ihm eine Wolke von abgestandenem Fett und ranzigem Käse. Das liegt an seinen ulkigen Essgewohnheiten. Abgesehen davon, dass er Lämmer in Pfefferminzsauce ertränkt und Chicken Tikka Massala für eine traditionelle Mahlzeit aus Birmingham hält, verspeist er Unmengen von Kartoffelchips, die er crisps nennt.

Während man in zivilisierten Ländern Weinproben macht, vergleicht der Engländer die Qualität seiner Kartoffelchips. Der Guardian hat neulich einen Restaurantkritiker, einen Chefkoch und einen Chemiker zum crisp tasting gebeten. Letzterer konnte zumindest die Zutaten identifizieren. Die Chips bestehen hauptsächlich aus Unmengen Salz, ungesättigten Fettsäuren und Monosodium-Glutamat. Ein 34-Gramm-Beutel enthält 184 Kalorien. Von diesem Zeug essen die Engländer mehr als 300.000 Tonnen im Jahr.

Dabei sind sie eigentlich eine US-amerikanische Erfindung. Dem Indianerhäuptling George Crum, der in einem Restaurant in New York arbeitete, ging 1853 ein betrunkener Gast auf die Nerven, weil er die angeblich zu dicken Pommes frites drei Mal zurückgehen ließ. Crum, so berichtet der Guardian, schabte schließlich hauchdünne Kartoffelscheibchen, wälzte sie in Salz und briet sie.

Was als Rache an einem renitenten Gast gedacht war, trat in England einen Siegeszug an. Der endgültige Durchbruch gelang den Chips während des Zweiten Weltkriegs, denn Kartoffeln waren nicht rationiert. Ein Herr Walker aus Leicester gab damals seine Schweineschlächterei auf und begann, Kartoffelchips zu schnitzen. In den Neunzigerjahren engagierte Walker den ehemaligen Fußballnationalspieler Gary Lineker. Danach schnellte der Verkauf um 114 Millionen Päckchen im Jahr in die Höhe. Zwei Drittel aller englischen Schulkinder essen Kartoffelchips zum Lunch, und wegen Lineker sind es meistens Walker’s.

Der Konkurrent Golden Wonder hatte 1963 Chips mit Käse-und-Zwiebel-Geschmack auf den Markt gebracht. Seitdem durchzieht ein Geruch wie genetisch modifiziertes Altöl englische Pubs. Die Konkurrenz versuchte es mit anderen Geschmacksrichtungen wie Worcestersauce, Schinken, Essig und Igel. Jawohl: Igel. Doch Käse-und-Zwiebel blieb der Favorit der Nation.

Dennoch musste Golden Wonder jetzt Konkurs anmelden. Es wirkte sich neben Lineker nachteilig für die Firma aus, dass der Engländer in Ermangelung einer Esskultur den Kartoffelchip zur Gourmetmahlzeit erhob. Dreiste Kartoffelbrater bieten Chips inzwischen in den Geschmacksrichtungen Salsa, Krabbencocktail oder Thai Chili an, geben ihm Balsamico und Meersalz bei und verlangen umgerechnet 1,50 Euro für das Tütchen.

Aber Kartoffelabfälle lassen sich nun mal nicht veredeln, da hilft auch kein törichtes Rezept eines Kochbuchautors. James Martin, der das Werk „Easy British Food“ verfasst hat, empfiehlt, eine Banane und Kartoffelchips zwischen zwei Scheiben Weißbrot zu geben und das Ganze mit den Handflächen zu zerquetschen. Das ist easy, zugegeben. Noch einfacher ist es, die crisps auf dem Boden zu verstreuen und sie mit den Schuhen zu zerquetschen, während man die Banane isst.