Gastkommentar: Kultupolitik
: Einer Kulturstadt unwürdig

Vor einem Jahr wurde Bremen als Möchtegern-„Kulturhauptstadt Europas“ aus dem Wettbewerb verabschiedet. Dann gingen Bilder des amtierenden Kultursenators im Schampus-Clinch mit einem Obdachlosen um die Welt. Dann hat sich Folge-Senator Kastendieck an einer dilettantischen Attacke aufs Theater verausgabt und Bremen gleich wieder blamiert. Seitdem: Warten und Zagen.

Die Szene beharrt auf Gehabtem, zockt um ein kleines Mehr hier oder etwas Weniger da. Visionen reduzieren sich auf Etats der anderen: Wer hat mehr? Die Kulturschaffenden werden mit Masterplan-Spielchen abgelenkt. Die zahlenfixierte KMB fordert Planungen für 2010, die Fachabteilungen bieten Planungssicherheit nur rückwirkend. Antragsprosa feiert fröhliche Urständ, senatorische Berater schwadronieren von „Holschulden“ und Haushaltsrecht. Förderverfahren? Inhalte? Fehlanzeige. Künstlerische Zugänge zum Islam? Rolle der Medien für kulturelle Entwicklung (und umgekehrt)? Arbeit jenseits der Vollbeschäftigungslüge? Stadtentwicklung? Bildung für das „Publikum von Morgen“? – Spannende Fragen an die Kultur. Dazu bräuchte man Künstler auch unter 30 Jahren, interkulturellen Austausch, Blicke über den Rand der kleinen Stadt.

Anregungen aus der Szene zu Stadtteilentwicklungen verschwinden in senatorischen Schubladen. Ein Austausch mit iranischen Künstlern ist „nicht bremenspezifisch“. Seit Monaten verenden Projekte an kulturpolitischer Verhaltung. Jetzt werden die Projektmittel – das politphilosophische Allheilmittel – definiert. Wenn Produktions- und Veranstaltungsförderungen, Investitions, Wett- und Personalmittel dann ausgeschrieben werden, ist vieles schon erledigt: ausgebremst, klein gerechnet und tot gewartet von der zuständigen Verwaltungsbehörde – einer „Kulturstadt“ unwürdig. 12 Monate ohne Streit, Konkurrenz und Fantasie – und es kommen wohl noch mehr. Carsten Werner

Der Autor war lange Jahre Leiter des Jungen Theaters und ist zurzeit Projektleiter der Schwankhalle.