Kanu aus Rohstoffen vom Feld

Eine Braunschweiger Firma hat einen Kanadier entwickelt, der fast gänzlich aus Naturwerkstoffen hergestellt wird. Der Preis liegt unterhalb dem von Edelholzkanus. Man erwartet eine Gewichtsersparnis von 15 Prozent, was den Transport erleichtert

VON DIERK JENSEN

Der Prototyp war schon „auf“ der Südsee. Damit ist zwar kein atemberaubender Ausflug mitten in den polynesischen Archipel gemeint, dafür aber eine kleine Tour auf einem Braunschweiger Stadtsee. „Wir waren mit der Jungfernfahrt unseres Kanadiers aus nachwachsenden Rohstoffen sehr zufrieden“, sagt Wirtschaftsingenieur Thomas Wurl von der Firma Invent GmbH, die den Kanadier mit finanzieller Unterstützung der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) entwickelt. „Wir müssen noch einige Dinge optimieren, hoffen aber im Laufe der nächsten Monate, unseren zu 75 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehenden Bootstyp in die Serie zu geben“, so Wurl.

Beim Natur-Kanadier ersetzen Naturfasern wie Flachs, Hanf oder Baumwolle und Pflanzenöl die herkömmlichen Glas- und Kohlenstofffasern sowie Kunstharze. Statt Fasern auf der Basis von Erdöl und Kohlederivaten zu verarbeiten, setzen die Braunschweiger auf Fasern vom Acker, etwa auf heimischen Flachs.

Die technischen Ansprüche an das naturfaserverstärkte Biopolymer sind groß: Es muss eine hohe UV-Stabilität haben, temperaturwechselfest und robust sein, wenig Feuchtigkeit aufnehmen und eine hohe Tragfähigkeit aufweisen. Laut Wurl zeige der neue Kanadier aber hinsichtlich dieser Parameter keine technischen Nachteile auf. Ganz im Gegenteil, soll doch das „Kanu natura“ im Verhältnis zu gängigen Produkten leichter sein. Bei einer Dichte der Naturfasern von 1,5 Gramm pro Kubikzentimeter erwartet man eine Gewichtsersparnis von bis zu 15 Prozent. Damit verbessert sich die Transportfähigkeit, womit Invent bei potenziellen Abnehmern in Zukunft punkten will. Der Preis liege auf jeden Fall unterhalb von Kanus aus Edelhölzern.

„Von der Rohstoffseite ist ein Boot aus nachwachsenden Rohstoffen im Verhältnis zu den Kunstfasern nicht mal teurer“, meint Klaus Lettmann und fügt an, dass gestiegene Erdölpreise die im Bootsbau verwendeten Kunstfasern extrem verteuert haben. Der Inhaber der Sport Lettmann GmbH in Moers und einer der führenden Anbieter von Kanus in Deutschland will das „nachwachsende Boot“ aus Braunschweig mit ins Angebotsprogramm aufnehmen. „Wir haben schon immer Sachen gemacht, die der Zeit etwas voraus waren. Für mich ist es jetzt einfach an der Zeit, auch etwas in diesem Bereich zu tun“, sagt Lettmann. Er antizipiert für dieses Segment eine wachsende Nachfrage, „einfach weil Kanuten zumeist Naturfreunde sind und sich gern mit dem Produkt identifizieren möchten, das sie unter dem Hintern haben.“ Thomas Wurl setzt ebenfalls auf wachsenden Absatz. „Wir gehen davon aus, dass schon im ersten Jahr rund 50 Exemplare verkauft werden“, so der Invent-Mitarbeiter. Zum Vergleich: In Deutschland werden jährlich zirka 5.000 Kanadier gekauft.

Unabhängig der Nachfragepotenziale hebt Wurl die Nachhaltigkeit des Produkts hervor. Denn während die Glas- und Kohlenstofffaserprodukte konventioneller Bootstypen schwer zu entsorgender Sondermüll sind, stellt das Kanu aus Flachs und Biopolymer kein Umweltproblem dar. Zwar verrottet der Duroplast auf der Basis von Pflanzen nicht von selbst, wenn der Benutzer ihn auf den Kompost wirft, kann dafür aber thermisch problemlos verwertet werden. Es entweichen keine umweltgefährlichen Schadstoffe. Ganz abgesehen davon, dass so ein Boot keine Belastung für den Klimahaushalt darstellt. Die Rohstoffe sind gewachsen auf Äckern, haben dort Kohlendioxid gebunden und geben dieses CO2 dann erst wieder in der thermischen Abfallentsorgung ab.

Ob so ein Produkt bei den naturnahen Wassersportlern tatsächlich ankommt, wird sich trotz aller Umwelt-Pluspunkte letztlich erst am Verkaufstresen entscheiden. Lettmann weiß, dass dies neben der Qualität auch eine Frage des Marketings ist, ob es wirklich gelinge, ein positives Image für den neuen Bootstyp zu schaffen.

Die Braunschweiger Entwickler hoffen indes, dass mit der Konstruktion ihres Kanus die Verwendung von naturfaserverstärkten Biopolymeren im ganzen Wassersportbereich (Jollen, Yachten, Surfbretter) vorankommt. Darüber hinaus erwarten sie in Zukunft auch eine Nachfrage aus dem gesamten Verkehrskomplex, etwa Auto und Bahn. In der Tat greifen die Autohersteller, ob sie nun DaimlerChrysler, Volkwagen oder Opel heißen, inzwischen zur Natur, um ihre Hightech-Gefährte für die Nachhaltigkeit fit zu machen. Invent ist den Konzernen schon mal ein Stück vorausgepaddelt und hat – immerhin – eine Fahrt in die Südsee heil überstanden.