Rausch und Schönheit aus dem Osten

TÄNZERIN Das Verborgene Museum erinnert an Tatjana Barbakoff. Im Berlin der Weimarer Republik ein Bühnenstar und in Künstlerkreisen verkehrend. Von den Nazis in Auschwitz ermordet ist sie dem Vergessen anheimgefallen

Barbakoff entwickelt eigene Tanzformen, in denen pantomimische Elemente eine Rolle spielen

VON ACHIM DRUCKS

Anita Berber schockt mit „Tänzen des Lasters, des Grauens und der Ekstase“. Im Bananenrock inszeniert sich Josephine Baker als „schwarze Venus“. Während Valeska Gert auf groteske Performances setzt, entdeckt Else von Carlsberg die Ägypterin in sich, mutiert zu Sent M’ahesa und vertanzt die Reliefs der Pharaonenzeit.

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war die Bandbreite unter den Tänzerinnen so groß wie das Verlangen des Publikums nach fremden, verlockenden Welten. Für eine Karriere in diesem Metier kann ein klangvoller Name nur von Vorteil sein. Das weiß auch Tsipora Edelberg aus der lettischen Kleinstadt Hasenpoth. Die 19-Jährige verliebt sich in einen Offizier, der im zivilen Leben als Conférencier arbeitet, und geht mit ihm nach Deutschland. Als Tatjana Barbakoff wird sie hier die Bühnen der Kabaretts und Theater erobern.

Engagement für Vergessene

Jetzt erinnert das Verborgene Museum an die Tänzerin, die selbst Spezialisten lange Zeit unbekannt war, obwohl sie von zahlreichen Künstlern und Fotografen porträtiert wurde. Dieser Ort ist genau die richtige Adresse für die Ausstellung, engagiert man sich hier doch bereits seit 1987 für das Werk vergessener Künstlerinnen – wie etwa die Berliner Modefotografin Yva, bei der Helmut Newton einst sein Handwerk gelernt hat. Mit mehreren Barbakoff-Porträts ist Yva auch in der aktuellen Schau vertreten, die sich auf die fotografischen Darstellungen der Tänzerin konzentriert.

Zahlreiche Exponate dokumentieren, wie konsequent Barbakoff ihrem Anfang der Zwanzigerjahre kreierten Look treu bleibt: Das blasse Gesicht akzentuiert sie mit schwarzem, streng gescheiteltem Haar, den zu zwei schmalen Bögen gezupften Augenbrauen, ihrem dunkelrot geschminkten Mund. Ein „slawisch-mongolischer Madonnenkopf“, so ein Kritiker. Aufmerksamkeit erregt sie zunächst mit russischen Tänzen. Wie diese aussahen, lässt sich nur vermuten. Filmaufnahmen ihrer Auftritte sind verschollen. Tatjanas Mann, mit dem sie zusammen auf der Bühne steht, beschreibt ihre Tänze als „Mimoplastik“. Das Publikum begeistert sich jedenfalls für ihre subtilen Gesten, das Spiel der Hände. Mit dem damals populären Ausdruckstanz haben Barbakoffs Choreografien allerdings nur wenig gemein. Die Autodidaktin – sie hatte nur als Kind eine Zeit lang Ballettunterricht – entwickelt eine ganz eigene Form des Tanzes, in dem pantomimische Elemente eine wichtige Rolle spielen.

Von Anfang an sucht Barbakoff die Nähe zu Künstlern. Parallel zu ersten Erfolgen im Düsseldorfer Corso Cabaret entstehen die frühesten Porträts. Sie wiederum lässt sich von Kunstwerken inspirieren. So zitieren einige ihrer Posen die Skulpturen von Ernst Barlach. In Düsseldorf bewegt sie sich im Umkreis des Jungen Rheinlands, einer progressiven Künstlergruppe, zu der neben Otto Dix und Max Ernst auch Gert Heinrich Wollheim gehört. „Aus dem Osten wird Rausch und Schönheit zu uns kommen“, ist auf der Rückseite einer dynamischen Bleistiftskizze vermerkt, auf der Wollheim 1924 einen ihrer Tänze festhält. Kurze Zeit später trennt sich Tatjana Barbakoff von ihrem Mann, die Tänzerin und der Maler werden ein Paar und gehen nach Berlin.

Chinesische Pfirsichblüte

Um abendfüllende Programme realisieren zu können, erweitert sie ihr Repertoire mit chinesischen Tänzen. Aus der „blutechten Russin“ wird die „Pfirsichblüte“ – „fremdartig wie der ferne Osten“. So sieht man auf einigen Fotografien auch Barbakoffs opulente asiatische Kostüme, mit denen sie den Reiz ihrer Auftritte noch zu steigern weiß. Die Zeitschriften schwärmen von der enormen Ausstrahlung der „Russin mit chinesischem Blut“. Das Verlangen nach Exotik kann sie also gleich zweifach befriedigen. Mit großem Erfolg: Allein über ihre Auftritte 1932 in Berlin berichten 15 Zeitungen.

Abrupt endet Barbakoffs Karriere: Schon kurz nach der Machtergreifung Hitlers im Februar 1933 geht sie mit Wollheim nach Paris ins Exil. Ein Foto von Willy Maywald – sein Atelier wird zum Treffpunkt der deutschen Emigranten – zeigt sie neben ihrem Geliebten im Café: eine sehr elegante, schöne, traurige Frau. Auf der Flucht vor der Wehrmacht lässt sie Wollheim in einem Versteck zurück und schlägt sich nach Nizza durch. Hier entsteht 1942 Maywalds letztes Porträt der Tänzerin: Im Zwielicht der Dämmerung erstrahlt ihr helles, von einem Palmenzweig gerahmtes Gesicht, den Kopf hat sie sanft nach hinten geneigt, ihre Augen sind geschlossen.

Im Januar des Jahres 1944 fällt sie der Gestapo in die Hände, einen Monat später wird Tatjana Barbakoff im KZ Auschwitz ermordet.

■ „Die Tänzerin Tatjana Barbakoff“. Das Verborgene Museum, Schlüterstraße 70, bis 27. Juni. Katalog: 15 €